Tagebuch der Apokalypse 01
noch immer eine Menge Sprit im Tank und wollte nicht in Flammen aufgehen, bloß weil eine Tragfläche sich um einen Mast wickelte. Auf der Straße erwischte die rechte Tragfläche eine Kreatur und riss sie von den Beinen. Sie starb auf der Stelle. Ihr Hirn hinterließ einen braunen Schmutzfleck auf dem Flügel. Ich überprüfte unsere Geschwindigkeit. 50 Knoten. Als wir anhielten, war die unmittelbare Umgebung sauber.
Ich wies John mit Gesten an, auszusteigen. Ich ließ den Motor laufen, damit der Motorenlärm unsere Flucht übertönte. Wir sprangen ins Freie, packten unseren Scheiß und liefen einem Schild entgegen, auf dem »Matagorda Island, Schwimmsteg« stand.
Dort sind wir jetzt.
Nach fünf Minuten am Boden habe ich mir am spitzen Kotflügel eines Autowracks das Bein aufgerissen. Wir sind über einen langen Hügel (in Seitenstraßen, Stränden und Hinterhöfen umgerechnet waren es fast zwei Kilometer) hinweg und jetzt hier. Unser Paradies besteht aus einem breiten Schwimmsteg mit einer großen Fähre und einem Souvenirladen. Strom ist noch da. Der Steg ist verlassen. Der Hafenmeister hat sich offenbar das Leben genommen. Sein aufgeblähter Leichnam ist über dem Büroschreibtisch zusammengesackt. Das, was von seinem Gehirn noch übrig ist, klebt an einem Kalender und markiert den Januar. Der Fernseher läuft noch. Das Programm? Schnee.
16. Februar
19.12 Uhr
Ich bin heute sehr schwach. Wäre John nicht bei mir, wäre ich tot. Annabelle liegt schlafend neben mir. Draußen ist es dunkel. Den größten Teil des Tages über war ich ohne Besinnung. Meine Wunde ist verschmutzt. Ich brauche Antibiotika. Im Schreibtisch des Hafenmeisters haben wir etwas Whisky gefunden. Er hat mir als Desinfektionsmittel und Schmerzkiller gedient. Morgen will John allein rausgehen, um Medikamente für mich zu finden. Momentan haben wir keine Schwierigkeiten.
Das Getöse unseres Flugzeugs war gestern mindestens noch zwei Stunden lang zu hören, bevor es erstarb. Egal, die Kiste war ohnehin nur noch Schrott. Außerdem bin ich sicher, dass niemand mehr lebt, der sie reparieren kann.
17. Februar
22.20 Uhr
Heute geht es mir besser. Wir haben in der Ferne Motorengeräusche gehört. Klang nach Geländemotorrad. John hat auf der nicht weit entfernten Fähre einen Erste Hilfe- Kasten gefunden. Er enthält zwar keine Antibiotika in Tablettenform, aber etwas von der zeitgemäßen Sorte. Ich habe meine Wunde gereinigt, was ich seitdem mehrmals täglich tue, und nehme Medizin ein. Es scheint zu funktionieren. Um den Schnitt herum ist die Verletzung aber noch immer sehr rot und wund. Gestern Nacht haben wir im Dunkeln erneute Geräusche gehört. Mit den Nachtsichtgeräten haben wir versucht, ihren Ursprung zu ergründen. Wie sich ergab, war es lediglich ein Waschbär auf Nahrungssuche. Morgen will ich Gehversuche starten, um nicht zu versteifen. Wir müssen die Umgebung erforschen, denn hier sind wir nur für den Augenblick sicher.
Der dunkle Ritter
18. Februar
23.02 Uhr
Hin und wieder weht der Wind das Geräusch von Schüssen herüber. Wir haben über das Funkgerät des Schwimmstegs den Hilferuf einer Familie aus den Außenbezirken von Victoria in Texas aufgefangen (ca. 75 Kilometer von unserem gegenwärtigen Quartier). Die Übertragung war schwach. Wir haben zu antworten versucht, aber die Leute hören uns nicht, denn sie senden pausenlos weiter, als wären wir gar nicht da. Ich habe darüber nachgedacht und entschieden, dass es sinnlos ist, sich 75 Kilometer durch feindliches Gebiet zu schlagen und dann auf eine Gruppe von Toten zu stoßen. Es ist traurig. Früher war ich mitfühlender und ritterlicher. Vermutlich möchte man einfach kein guter Mensch mehr sein, wenn man einmal gesehen hat, was guten Menschen passiert. Die Familie sitzt auf einem Dachboden fest; eins dieser Dinger schlurft unter ihnen herum. Ich glaube, ich weiß schon, wer von denen mehr Geduld aufbringen wird.
Ich nehme an, dass sie, als die Kacke anfing zu dampfen, das Lebenswichtigste auf den Boden schafften. Aber irgendwas lässt mich trotzdem nicht ruhen. Ein hülsengleicher Rest meines alten Ichs scheint mir den Befehl zu erteilen, etwas zu unternehmen. Vielleicht habe ich doch noch ein Gewissen. Ich bezweifle es.
Ich kann wieder gehen, aber noch nicht laufen. John und ich haben die Kette gelöst, die die schwimmende Gangway mit dem Schwimmsteg verbindet. Im Allzweckraum des Hafenmeisters haben wir Seile gefunden, die wir nun als Teil eines
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