Tagebuch der Apokalypse 01
wie er sie wahrnehmen würde.
Ich trat an den Rand des Daches und forderte ihn auf, mir zuzusehen. Ich konnte nun die Geräusche der nach Nahrung gierenden Ghoule hören. Ich sah, wie die Balkontür unter mir aufgestoßen wurde; dann traten zwei, fünf und schließlich ein Dutzend Untote auf den Balkon hinaus. Aus irgendeinem Grund wirkten sie weniger verwest als in meiner Vorstellung. Ich schätzte, dass sich in diesem Moment mindestens zweihundert wandelnde Tote im Tower aufhielten.
John beugte sich vor. Er sah sie ebenfalls und war weiß vor Angst. Es lag nicht nur an der Vorstellung, gefressen zu werden. Der Gedanke, vom Tower springen zu müssen, sich beide Beine zu brechen und nicht mehr um sein Leben kämpfen zu können, setzte ihm ebenso zu. Ich wusste, was er dachte. Ich dachte das Gleiche. In diesem Moment wurde die Dachluke angehoben und schlug wieder zu. Kling, klang. Der Ehering der Kreatur schlug gegen die Luke, schob sie ein paar Zentimeter hoch und ließ sie los, als ihre Hand getroffen wurde. Ich sah die weiße Hand immer dann für den Bruchteil einer Sekunde, wenn das Gewicht der Luke sie wieder herabdrückte. Ich wäre fast durchgedreht.
Irgendwie zog ich Johns Aufmerksamkeit dennoch auf mich und zeigte ihm, wie man den Löser- D- Ring des Bremsschirms zieht. Bremsschirme sind kleine Fallschirme, die den Wind einfangen und den Rest des Fallschirms rausziehen. An diesem Schirm war der Bremsschirm federbetrieben. Zieht man den Bolzen, schießt der Bremsschirm raus, fängt den Wind ein und baut den Rest des Schirms auf. Ich überprüfte den Windsack auf der anderen Seite des Flugplatzes. Alles sprach für uns. Ich schaute nach unten. Es waren noch viele Untote zu sehen, aber die meisten schienen im Tower zu sein. Ich zog den Bolzen und blieb am Rand stehen, damit ich nicht runterfiel, bevor er sich aufrichtete.
Der Wind erwischte den Hauptschirm und riss mich buchstäblich von den Beinen. Ich sah, dass die Luke aufflog. Ich hörte sie scheppern, als sie sich aufstellte und aufs Dach schlug. John war schon hinter mir. Die Kreaturen auf dem Balkon sahen uns springen und begannen zu kreischen. Ich sah auf, als sie die Hände nach meinem Fallschirm ausstreckten.
Alle paar Meter passierten wir Fenster, durch die man ins Treppenhaus sehen konnte. Verdammt ... Sie stiegen sogar übereinander hinweg, um nach oben zu gelangen. Viele trugen Militäruniformen. Ich hatte mich ganz schön verschätzt. Das waren keine zweihundert Mann. Wenn man sah, wie sie sich im Treppenhaus stapelten, waren es eher tausend. Ich schwebte langsam dem Boden entgegen. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Jedes Fenster, an dem ich vorbeikam, war ein eigener Schnappschuss oder ein gerahmtes Picasso-Gemälde voller toter, übereinander hinweg krabbelnder Gesichter und Gliedmaßen. Plötzlich kam ich unten und damit zurück in der Wirklichkeit an. Ich bin zwar nicht weich gelandet, habe mir aber immerhin nichts gebrochen. Ich löste mich sofort von meinem Fallschirm, rollte mich aus seiner Reichweite, zückte mein Messer und wartete, bis John unten angekommen war. Die Biester kamen näher.
Sobald John am Boden war, versuchte er sich aus dem Fallschirm zu befreien. Keiner von uns wollte, dass der Wind uns in eine Gruppe dieser Dinger hineinzog. Ich musste ihm helfen, indem ich sein Nylongeschirr zerschnitt. Ich rief ihm zu, ein Ende des Fallschirms zu packen. Dann rannten wir durch eine Gruppe der Dinger auf das Flugzeug zu.
John kannte meinen Plan. Wir wickelten mindestens zehn Figuren in den beschädigten Fallschirm, indem wir um sie herum liefen und in das zerschnittene Geschirr mit dem Bremsschirm verhedderten. Glücklicherweise hatte unser Sprung uns fünfzig Meter in Richtung der Maschine geweht. Wir liefen so schnell wir konnten. Während der ganzen Aufregung rutschte der Hund aus Johns Rucksack und landete auf dem Boden. John war vor mir, also hob ich Annabelle auf. Sie war so verängstigt, dass sie tatsächlich versuchte, auf meinen Kopf zu steigen. Ich kann es ihr verdammt nochmal nicht verübeln. Ich spürte, dass die Wärme von Urin meine Kleider durchdrang. Sie pinkelte sich gerade ein.
Wir erreichten unsere Maschine. Ich riss die Cockpittür auf und warf meinen Scheiß auf den Rücksitz. John und Annabelle sprangen hinten rein. Ich wies John an, sich anzuschnallen. Ich war im Nu in der Kiste, schloss das Cockpit und verriegelte sämtliche Türen. Ich kannte die Startsequenz der Prüfliste auswendig und sprach sie aus
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