Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
gibt immer wieder neue Gerüchte, dass es heute Abend noch passieren wird, dass es morgen passieren wird, aber in Wirklichkeit weiß es natürlich niemand so richtig.
ORF: Aber ist es denkbar, dass Mubarak noch vor der Präsidentenwahl im Herbst geht?
Karim El-Gawhary: Ich glaube, das ist keine Frage. Ich glaube, im Moment diskutiert man nicht mehr darüber, ob er vor der Präsidentschaftswahl geht, sondern wie die Modalitäten seines Abgangs sind. Und man kann wirklich sagen, je mehr Menschen auf diesem Platz sind, je enger sie beieinander stehen, und das war heute wieder der Fall, die Leute sind wirklich eng beieinander gestanden, umso enger wird es dann auch für Mubarak. Und der internationale Druck nimmt auch zu, aus den USA, jetzt auch aus Europa, und die Militärführung ist heute auch das erste Mal auf dem Tahrir-Platz aufgetaucht, der Verteidigungsminister ist heute offiziell hingegangen, um, wie es heißt, seine Truppen zu inspizieren. Aber natürlich hat er da auch eine gewisse Nähe zu den Demonstranten gezeigt. All das erhöht den Druck auf Mubarak.
Monate später – die offizielle Nachbetrachtung: Ermittler haben das Regime als Auftraggeber der Schlägertrupps ausgemacht
Monate später, im Mai 2011, spielten diese Tage ab dem 28. Januar bis zum 3. Februar eine wichtige Rolle, als die Ermittler begannen, die genaue Rolle Mubaraks in der Bekämpfung des Aufstandes aufzuarbeiten. Im Zentrum stand die Frage, ob er persönlich den Befehl gegeben hatte, auf Demonstranten zu schießen. Mohammed Hussein Tantawi, der Chef des Militärrates, der nach dem Sturz Mubaraks das Land kommissarisch verwaltete, hatte in seiner ersten öffentlichen Rede am 17. Mai vor der Polizeiakademie erstmals erklärt, dass Mubarak der Armee den Schießbefehl gegeben habe, die Armee ihn aber nicht befolgt habe.
Laut einer Aussage von Mubaraks Vize, Omar Suleiman, ebenfalls im Mai, soll Mubarak stündlich über die Ereignisse auf Ägyptens Straßen informiert worden sein, wusste also genau, dass Menschen von seinem Sicherheitsapparat erschossen wurden, und unternahm nichts dagegen.
Am 24. Mai verkündete der oberste Staatsanwalt dann erstmals, dass gegen Mubarak ein Verfahren wegen der vorsätzlichen Tötung von friedlichen Demonstranten eingeleitet wird.
Laut dem 400-seitigen Bericht einer nach Mubaraks Sturz von der Militärführung eingesetzten offiziellen Fact Finding Commission, der am 19. April veröffentlicht worden war, kamen während des Aufstandes mindestens 846 Menschen um und 6467 wurden verletzt. Bei dieser Untersuchung wurden über 17.000 Amtsträger befragt und 800 Videos ausgewertet.
In dem Bericht wurde bestätigt, dass die Polizei nach dem 25. Januar überall im Land scharfe Munition eingesetzt hatte. Der direkte Befehl kam von einer Kommission hochrangiger Polizeioffiziere, an deren Spitze der damalige Innenminister Habib El-Adly stand. Die tödlichen Schüsse trafen meist Kopf und Brust. Häufig waren auch Augenverletzungen in Folge von Schusswaffengebrauch. Hunderte Ägypter haben nach dem Bericht in diesen Tagen ihr Augenlicht verloren. Die Fact Finding Commission machte Mubarak am Ende für den Einsatz von Schusswaffen als oberste Instanz verantwortlich. „Es ist bestätigt, dass der Gebrauch scharfer Munition der Genehmigung des Präsidenten bedarf. Die Schüsse auf Demonstranten dauerten mehrere Tage und Mubarak hat jene, die scharfe Munition eingesetzt haben, in dieser Zeit nicht zur Verantwortung gezogen“, erklärte der Vorsitzende der Kommission, der Richter Omar Marwan, in einer Pressekonferenz bei der Vorstellung des Berichtes. „Das bestätigt, dass er auch Verantwortung trägt“, erklärte er.
Besondere Aufmerksamkeit widmeten dieser Bericht und die ägyptischen Medien der sogenannten „Kamelschlacht“ am 2. Februar auf dem Tahrir-Platz. Laut dem Bericht hätten die Demonstranten mehrere Schläger auf den Kamelen und Pferden gefangengenommen und hätten bei ihnen Polizeiausweise und Mitgliedsausweise von Mubaraks Regierungspartei NDP gefunden. Einige der gefangenen Schläger hatten laut der ägyptischen Tageszeitung Al-Masry Al-Youm auch ausgesagt, dass sie für den Einsatz umgerechnet 25 Euro erhalten hatten. Eine Schlüsselrolle soll der NDP-Abgeordnete Magdy Allam gespielt haben, der den Schlägern erklärt hat, sie sollten alles Nötige unternehmen, während ihnen Schrotflinten und Knüppel ausgehändigt wurden. Der Plan, den Platz zurückzuerobern, soll vom Chef des
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