Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
– das ist eigentlich eine alte Platte, die wir schon viele Jahre gehört haben und die er jetzt eben wieder aufgelegt hat. Ich glaube, dass das Gegenteil der Fall sein wird. Was wir gerade im Moment auf den Straßen Kairos erleben, ist das blanke Chaos, und er ist immer noch an der Macht.
ORF: Morgen findet wieder das Freitagsgebet statt. Man kann davon ausgehen, dass wieder viele Gegner des Regimes auf die Straße gehen und den Protest fortführen – rechnen Sie damit, dass die Lage weiter eskalieren wird?
Karim El-Gawhary: Eskalieren tut sie in der Regel dann, wenn die Schläger auf dem Platz auftauchen, und die Frage ist ein bisschen, wie viele Leute morgen auf diesen Platz kommen werden und ob die Schläger sich dann überhaupt noch hintrauen. Die Leute, die im Moment auf dem Platz sind, und es ist eine große Menge Menschen, haben die Hoffnung, dass sich diese ganze Sache mit den Schlägern morgen auflöst. Ich glaube, es ist geplant, dass alle Leute zum Tahrir-Platz kommen, um dort ihr Freitagsgebet zentral abzuhalten; das wäre natürlich eine beeindruckende Masse, und das wäre möglicherweise eine Demonstration, die noch größer ist als die, die wir vor zwei Tagen gesehen haben, die ja sehr friedlich war. Wenn die Demonstranten eine bestimmte Masse erreicht haben, dann haben die Schläger keine Chance mehr und das ist, glaube ich, das, was die Demonstranten im Moment versuchen.
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4.2.2011
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ORF, ZIB 13, 4.2.2011
ORF: In Kairo begrüße ich wieder unseren Korrespondenten Karim El-Gawhary. Meine Frage an Sie: Was tut sich gerade auf dem Tahrir-Platz?
Karim El-Gawhary: Es sind wieder sehr, sehr viele Leute, ich schätze, von der Größe her, so viele wie bei den Demonstrationen vor drei Tagen, wo ja mehrere hunderttausend, vielleicht sogar über eine Million Menschen auf dem Platz waren. Die Armee hat den Platz weiträumig abgesperrt, auf der Zufahrtsstraße zum Tahrir-Platz haben sich die Panzer aufgestellt, sie kontrollieren aber nicht so richtig. Wer kontrolliert, das sind die Freiwilligen von seiten der Demonstranten am Eingang des Platzes. Es ist alles sehr friedlich und sehr diszipliniert, die Leute stehen dort in der Schlange und kommen langsam auf den Platz herein, werden untersucht, auch mal nach Waffen abgetastet, und man muss seinen Ausweis vorzeigen. Aber bis jetzt ist alles sehr, sehr friedlich. Die Schläger von gestern Abend, die nicht nur uns Journalisten, sondern auch die Leute auf dem Platz terrorisiert haben, die haben sich zumindest im Moment zurückgezogen.
ORF: Halten Sie es denn für realistisch, dass Mubarak, wie von den Demonstranten gefordert, heute zurücktritt?
Karim El-Gawhary: Das kann kein Mensch sagen. Ich glaube, was man sagen kann, ist, dass es im Moment nicht mehr um das „Ob“, sondern um das „Wie“ geht, um die Modalitäten. Die Amerikaner verhandeln ja auch im Moment, ich bin sicher, dass in der Militärführung auch darüber verhandelt wird, wie Mubarak abtritt. Ich glaube, die Amerikaner denken schon ein bisschen voraus. Sie wollen, dass das ein Abgang wird, der auch ein Modell für andere arabische Staaten wird. Wir haben ja möglicherweise einen Domino-Effekt vor uns, Ägypten wird vielleicht ein Modell sein für den Jemen, für andere arabische Länder, für Jordanien, wo jetzt auch demonstriert wird, und man möchte ein Modell kreieren für den Übergang dieser Diktaturen hin zu einem demokratischen System. Und man möchte das auf eine Art und Weise machen, dass es für die anderen arabischen Führer, die jetzt natürlich genau darauf gucken, was in Ägypten gerade läuft, nicht ganz so schwer ist, dann selbst abzudanken.
ORF, ZIB 1, 4.2.2011, 19:30
ORF: Wir gehen jetzt live zu Karim El-Gawhary. Die letzten Tage waren geprägt von Gewalttätigkeiten, wie ist die Situation denn heute Abend?
Karim El-Gawhary: Der Tahrir-Platz ist auch zur Stunde noch voll mit Menschen. Es herrscht wieder eher eine Volksfeststimmung, eine friedliche Atmosphäre. Am Rande der Demonstrationen, an den Eingängen zum Tahrir-Platz, haben sich ab und zu die Pro-Mubarak-Schläger der letzten Tage versammelt und greifen ab und zu mal Leute ab, die zur Demonstration gegangen oder von der Demonstration weggegangen sind. Aber das sind nicht mehr die gleichen Szenen wie in den letzten Tagen. Die Stimmung auf dem Platz ist gut. Die Leute sagen: Selbst wenn heute nicht der Tag des Abgangs Mubaraks war, wir bleiben, wir bleiben so lange dort, bis er weg ist. Es
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