Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
Welche Rolle wird denn in Zukunft Vizepräsident Omar Suleiman spielen? Ist das noch ein Mann Mubaraks oder ist das jetzt doch einer, der sich auf die Seite des Militärs geschlagen hat, wenn es jetzt heißt: Das Militär hat die Führung?
Karim El-Gawhary: Er hat die Nachricht überbracht, aber die Nachricht war, dass die Macht an das Militär übergeben wird. Wir wissen also nicht genau, was passiert. Omar Suleiman ist in gewissem Sinne ein gebranntes Kind, gerade durch die gestrige Rede von Hosni Mubarak, er wird von den Leuten da draußen als sein Mann gesehen, als ein Mann des alten Regimes, und wenn er jetzt tatsächlich die Macht übernehmen sollte, wird es sicher einer der ersten Kämpfe werden, dass die Leute genau das nicht akzeptieren. Wenn wir jetzt noch einmal über die Grußbotschaften aus dem Ausland nachdenken, aus der EU und möglicherweise auch von amerikanischer Seite – für die Leute hier ist eines, glaube ich, ganz wichtig: Das haben sie ganz allein geschafft, in Tunesien und hier. In Tunesien hat es der Westen vollkommen verschlafen, bis der Diktator fast ausgereist war, und hier in Ägypten hat der Westen zugeguckt. Man wusste nicht, soll man sich jetzt auf die Seite von Mubarak schlagen, oder soll man eine langsame Transformation unterstützen, oder soll man denen unter die Arme greifen, die den schnellen Sturz Mubaraks und einen vollständigen Wandel wollen. Man hat im Westen herumgeeiert, und die Leute hier sind stolz darauf, dass sie es ganz allein geschafft haben, dass sie diesen Mubarak losgeworden sind. Sie werden sich über die Grußbotschaften aus aller Welt freuen, aber sie werden vor allem sehr stolz darauf sein, genauso wie die Tunesier, dass der Diktator eben nicht wie im Irak durch eine ausländische Intervention weggeräumt wurde. Hier – und das ist die ganz neue Qualität – haben die Leute das in die eigene Hand genommen und das gibt dem folgenden Prozess natürlich viel mehr Glaubwürdigkeit, als wir das jemals in der arabischen Welt erlebt haben.
In all der Zeit stand ich live vor der Kamera. Endlich konnte ich auch meine neuen Medien mit einem einzigen Satz bedienen:
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11. Februar 2011, 17:37 Es ist vorbei.
ORF, ZIB 2, 11.2.2011, 22:00
ORF: Wir schalten jetzt wieder live zu unserem Korrespondenten nach Kairo. Karim El-Gawhary, einige erste Bilder haben wir schon gesehen, aber wir würden es natürlich auch gern aus Ihrem Mund hören, aus dem Mund eines Augenzeugen: Wie ist denn die Stimmung in Kairo?
Karim El-Gawhary: Eine wahnsinnige Stimmung! Die 18-Millionen-Stadt ist auf der Straße, wir gehen mal mit der Kamera da runter, um zu zeigen, was unter unserem Büro los ist: Da stehen die Panzer, auf denen die Leute zu Hunderten auf und ab gewippt sind. Sie haben diese schweren Geräte durch ihre Freudensprünge zum Wippen gebracht. Sie stehen immer noch da unten und tanzen, sie kommen auf ihren Motorrädern, mit ihren Kindern, schwenken ihre Fahnen, sind auf dem Weg zum Tahrir-Platz. Man kann richtig fühlen, wie ein Stein vom Herzen der Leute gefallen ist, wie diese 30 Jahre Mubarak in den letzten Stunden von ihnen abgefallen sind, es ist ein ständiges Kommen Richtung Tahrir-Platz. Ich habe gerade gesehen, wie die Soldaten auf den Panzern von den Leuten abgebusselt wurden. Eine ganze Stadt ist heute auf den Beinen, es ist wie ein Sieg bei der Fußballweltmeisterschaft hoch drei, der da heute in Kairo stattfindet.
ORF: Noch heute Mittag und am frühen Nachmittag war nicht absehbar, dass wir heute Abend solche Szenen sehen werden. Wir haben jetzt gerade noch einmal Ihre Schaltung um 17 Uhr in der „Zeit im Bild“ gesehen, ich habe Sie auch beobachten können, Sie haben selbst geschmunzelt, der Rücktritt von Mubarak war zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar, er hat auch Sie, nehme ich an, überrascht. Was hat denn letztlich den Ausschlag gegeben, was war heute Nachmittag anders als noch gestern Abend?
Karim El-Gawhary: Ich glaube, es war einfach die Akkumulation von Druck: Heute waren so viele Leute in Kairo auf der Straße wie noch nie, um gegen dieses Regime zu protestieren; dazu kam natürlich der große internationale Druck, offenbar war ja mit den Amerikanern etwas vollkommen anderes ausgemacht, als was Mubarak gestern in seiner Rede gesagt hat, das heißt, auch international stand er total unter Druck. Und schließlich, so glaube ich, war ausschlaggebend, dass das Militär heute einfach zu ihm gegangen ist und gesagt hat: „So, Mubarak,
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