Tagebuch Eines Vampirs 01. Im Zwielicht
Ihre Stimme verklang, und sie hörte auf, sich zu drehen. „Was ist los, Stefan? Du lächelst nicht einmal.“
Er brauchte sich keine Mühe zu geben. Ihr Anblick, eine fast unirdische Erscheinung aus Weiß und Gold, verursachte ihm körperliche Schmerzen. Wenn er sie verlor, wußte er nicht, wie er weiterleben sollte. Seine Finger krampften sich um das glatte Metallgeländer. „Wie kann ich lächeln, Katherine? Wie kann ich überhaupt glücklich sein, wenn...?“
„Wenn?“ „Wenn ich zusehen muß, wie du Damon anschaust.“
Da, jetzt war es heraus. Gequält fuhr er fort: „Bevor Damon nach Hause kam, waren wir jeden Tag zusammen. Unsere Väter waren erfreut und sprachen bereits von Heirat. Aber jetzt werden die Tage kürzer, der Sommer ist fast vorbei... und du verbringst genausoviel Zeit mit Damon wie mit mir. Der einzige Grund, warum Vater ihm erlaubt hierzubleiben, ist, weil du ihn darum gebeten hast. Warum hast du das getan, Katherine? Ich dachte, du fühlst etwas für mich.“ Ihre blauen Augen blickten entsetzt. „Aber ich mag dich, Stefan. Oh, das weißt du doch!“ „Warum hast du dann bei meinem Vater für Damon ein Wort eingelegt? Wenn du nicht gewesen wärst, hätte er Damon auf die Straße geworfen...“ „Was dich sicher sehr gefreut hätte, kleiner Bruder.“ Die Stimme, die von der Tür her kam, war sanft und überheblich. Doch als Stefan sich umwandte, sah er, daß Damons dunkle Augen vor Wut brannten. „Nein, das ist nicht wahr“, warf Katherine schnell ein.
„Stefan würde sich nie wünschen, daß dir etwas geschieht.“
Damons Lippen zuckten, und er warf Stefan einen spöttischen Blick zu, während er an Katherines Seite trat. „Vielleicht nicht“, sagte er zu ihr. Sein Tonfall wurde eine Spur freundlicher.
„Aber mein Bruder hat in einem recht. Die Tage werden kürzer, und dein Vater wird Florenz bald verlassen. Er wird dich mitnehmen, wenn du keinen triftigen Grund hast, hierzubleiben.“ Wenn du keinen Ehemann hast, der sich um dich kümmert. Die Worten blieben ungesprochen, aber alle drei hörten sie. Der Graf würde seine geliebte Tochter nie zu einer Heirat gegen ihren Willen zwingen. Am Ende würde es Katherines Entscheidung sein. Katherines Wahl.
Jetzt, wo das Thema einmal angeschnitten war, konnte Stefan nicht länger schweigen. „Katherine weiß, daß sie ihren Vater bald verlassen muß“, begann er und protzte mit seinem geheimen Wissen. Aber sein Bruder unterbrach ihn. „Klar. Der alte Herr wird mißtrauisch“, sagte er wie beiläufig. „Selbst der liebevollste Vater wird sich irgendwann einmal fragen, warum sein Töchterchen sich nur bei Nacht zeigt.“
Eine Mischung aus Zorn und Schmerz packte Stefan. Es stimmte also, Damon wußte alles. Katherine hatte ihr Geheimnis auch seinem Bruder anvertraut. „Warum hast du es ihm erzählt, Katherine? Warum? Was siehst du in ihm, einem Mann, für den nur das eigene Vergnügen zählt? Wie kann er dich glücklich machen, wenn er nur an sich selbst denkt?“
„Und wie kann dieser Junge dich glücklich machen, der keine Ahnung von der Welt hat?“ unterbrach Damon voller Verachtung. „Wie kann er dich beschützen, wenn er die Wirklichkeit da draußen gar nicht kennt? Er hat sein ganzes Leben unter Büchern und Gemälden verbracht. Lassen wir ihn dort.“ Katherine schüttelte kummervoll den Kopf. Tränen standen in ihren blauen Augen.
„Keiner von euch versteht mich“, sagte sie. „Ihr glaubt, ich kann heiraten und mich hier in Florenz niederlassen wie jede andere Adlige. Aber ich bin nicht wie die anderen Damen. Wie kann ich einen Haushalt leiten, mit Dienstboten, die jeden meiner Schritte beobachten? Wie könnte ich nur an einem Ort wohnen, wo die Menschen sehen können, daß ich nicht älter werde? Für mich wird es kein normales Leben geben.“
Sie holte tief Luft und sah einen nach dem anderen an. „Wer mein Mann werden will, muß das Leben im Sonnenschein aufgeben“, flüsterte sie. „Er muß den Mond und die Stunden der Dunkelheit wählen.“ „Dann wähle du jemanden, der keine Angst vor den Schatten hat“, warf Damon ein. Stefan war überrascht von seinem eindringlichen Tonfall. Er hatte Damon noch nie mit soviel Ernst und solcher Ehrlichkeit reden hören.
„Sieh dir meinen Bruder an, Katherine. Wird er es schaffen, das Sonnenlicht aufzugeben? Er hängt zu sehr an den normalen Dingen: an seinen Freunden, seiner Familie, seinem Pflichtgefühl der Heimatstadt Florenz gegenüber. Die Dunkelheit
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