Tagebuch Eines Vampirs 01. Im Zwielicht
würde ihn vernichten.“
„Lügner!“ schrie Stefan. Er kochte vor Wut. „Ich bin so stark wie du, Bruder, und ich fürchte nichts, weder bei Tag noch bei Nacht. Ich liebe Katherine mehr als meine Freunde oder meine Familie...“ „Oder dein Pflichtgefühl? Liebst du sie genug, um auch das aufzugeben?“ „Ja“, verteidigte Stefan sich. „Genug, um alles aufzugeben.“
Damon lächelte eins seiner plötzlichen, rätselhaften Lächeln.
Dann wandte er sich an Katherine. „Es scheint, daß die Wahl ganz bei dir liegt. Du hast zwei Verehrer, die um deine Hand anhalten. Wirst du einen von uns nehmen oder keinen?“
Katherine senkte einen Moment den Kopf. Dann blickte sie beide tränenerfüllt an. „Gebt mir bis Sonntag Bedenkzeit. Und bis dahin quält mich nicht mit Fragen.“
Stefan nickte zögernd. „Und Sonntag?“ wollte Damon wissen.
„Sonntagabend bei Anbruch der Dämmerung werde ich meine Wahl treffen.“ Die Dämmerung... die tiefe, violette Dunkelheit des Zwielichts...
Am Himmel wurde es langsam hell. Stefan kam wieder zu sich.
Es war die Morgendämmerung, nicht die Abenddämmerung, die gerade anbrach. In Gedanken verloren war er zum Waldrand gefahren. Im Nordwesten konnte er die Wickery-Brücke und den Friedhof sehen. Neue Erinnerungen ließen seinen Puls höher schlagen. Er hatte Damon ins Gesicht geschleudert, daß er alles für Katherine aufgeben würde. Und genau das hatte er getan. Ihretwillen war er zu einem Geschöpf der Nacht geworden. Ein Jäger, dazu verdammt, immer selbst gejagt zu werden, ein Dieb, der Leben stehlen mußte, um seinen Hunger zu stillen.
Und nun auch noch ein Mörder? Nein, man hatte gesagt, daß das Mädchen Vickie nicht sterben würde. Aber vielleicht sein nächstes Opfer. Das Schlimmste an dem letzten Überfall war, daß er nicht wußte, was geschehen war. Er erinnerte sich an seine Schwäche, an die riesige Not und daran, daß er durch die offene Kirchentür gestolpert war. Aber an nichts hinterher. Er war erst wieder zu sich gekommen, als er Elenas Todesangst spürte. Und dann war er zu ihr gerannt, ohne sich damit aufzuhalten, was passiert sein könnte. Elena... Einen Moment lang fühlte er so große Freude, ja sogar Ehrfurcht, daß er alles andere vergaß. Elena, warm wie das Sonnenlicht, weich wie der Morgen und doch mit einem Rückgrat aus Stahl, das nicht gebrochen werden konnte. Sie war wie ein Feuer, das im Eis brannte, wie die scharfe Klinge eines silbernen Dolches. Aber hatte er das Recht, sie zu lieben? Schon seine Gefühle für sie brachten sie in Gefahr. Was würde geschehen, wenn seine Not wieder zu groß wurde und Elena das einzige menschliche Wesen in seiner Nähe war, das ihm die lebensnotwendigen Kräfte spenden konnte? Ich werde sterben, bevor ich sie anrühre, dachte er sich. Bevor ich ihre Adern berühre, verdurste ich lieber. Und ich schwöre, daß sie mein Geheimnis niemals kennenlernen wird. Sie soll meinetwegen nie das Sonnenlicht aufgeben müssen. Hinter Stefan wurde es am Himmel hell. Aber bevor er wegfuhr, benutzte er seine telepathischen Kräfte und schickte sie auf die Suche nach einem verwandten Wesen, das sich vielleicht in der Nähe befand. Er suchte nach einer anderen Lösung für das, was in der Kirche geschehen war. Aber es gab nicht den Hauch einer Antwort. Der Friedhof verspottete ihn mit seiner völligen Stille.
Die Sonne schien hell in ihr Zimmer, und Elena erwachte. Sie fühlte sich, als hätte sie gerade eine Grippe hinter sich, und gleichzeitig freute sie sich, als wäre es der Weihnachtsmorgen.
Während sie sich aufsetzte, überschlugen sich ihre Gedanken.
Aua. Der ganze Körper tat ihr weh. Aber sie und Stefan... das brachte alles wieder in Ordnung. Dieser betrunkene Wüstling Tyler... Ach was, der zählte nicht mehr. Nichts war mehr wichtig, nur noch, daß Stefan sie liebte.
Im Nachthemd stieg sie die Treppe hinunter. An den Sonnenstrahlen, die durch die großen Fenster fielen, erkannte sie, daß sie sehr lange geschlafen haben mußte. Tante Judith und Margaret waren im Wohnzimmer. „Guten Morgen, Tante Judith.“ Elena umarmte die überraschte Tante herzlich. „Und guten Morgen, Mäusekind.“ Sie hob Margaret hoch und tanzte mit ihr durchs Zimmer. „Da ist ja auch noch Robert. Guten Morgen!“ Selbst ein wenig peinlich berührt von ihrem überschäumenden Ausbruch und der Tatsache, daß sie nur das dünne Nachthemd trug, floh sie in die Küche. Tante Judith folgte ihr. Obwohl sie dunkle Ringe unter den
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