Tagebuch Eines Vampirs 05. Rückkehr Bei Nacht
schieben. Sie musste sich ein Lächeln verkneifen, als sie Tamis Kostüm einer genaueren Musterung unterzog. Schließlich hatte sie selbst noch vor wenigen Tagen das Tabu, das die menschliche Nacktheit betraf, nicht im Mindesten begriffen.
Jetzt verstand sie es zwar, aber es erschien ihr nicht annähernd so wichtig, wie es das früher einmal gewesen war. Die Menschen wurden mit ihrer eigenen, absolut brauchbaren Haut geboren. Es gab ihrer Meinung nach keinen echten Grund, darüber falsche Häute zu tragen, es sei denn, es war kalt oder irgendwie ungemütlich ohne diese zusätzlichen Häute. Aber die Gesellschaft sagte, dass Nacktheit etwas Verdorbenes wäre. Und Tami versuchte nun, auf ihre eigene kindliche Art und Weise verdorben zu sein.
»Nimm die Hände weg von mir, du alte Hure«, knurrte Tamra, als Elena sie von Matt wegschob, und dann fügte sie noch mehrere ziemlich deftige Schimpfworte hinzu.
»Tami, wo sind deine Eltern? Wo ist dein Bruder?«, fragte Elena. Sie ignorierte ihre Obszönitäten, sah jedoch, dass Matt um die Lippen herum weiß geworden war.
»Du wirst dich sofort bei Elena entschuldigen! Entschuldige dich dafür, dass du so mit ihr gesprochen hast!«, verlangte er.
»Elena ist eine stinkende Leiche mit Würmern in den Augenhöhlen«, zwitscherte Tamra schlagfertig. »Aber mein Freund sagt, sie sei zu Lebzeiten eine Hure gewesen. Eine echte« - eine ganze Flut von Worten mit vier Buchstaben folgte, bei der Matt die Luft wegblieb - »billige Hure. Du weißt das. Nichts ist billiger als etwas, das es kostenlos gibt.«
»Matt, beachte sie einfach nicht«, murmelte Elena leise, dann wiederholte sie:
»Wo sind deine Eltern und Jim?«
Die Antwort war durchsetzt mit weiteren Kraftausdrücken, aber sie lief auf die Geschichte hinaus - ob sie nun wahr war oder nicht -, dass Mr und Mrs Bryce für einige Tage in Urlaub gefahren waren und dass Jim bei Isobel war, seiner Freundin.
»Okay, dann schätze ich, dass ich dir einfach helfen muss, etwas Anständigeres anzuziehen«, sagte Elena. »Zuerst, denke ich, brauchst du eine Dusche, um diesen Weihnachtströdel runterzubekommen ...«
»Ver-su-huch es doch! Versu-hu-huch es doch!« Die Antwort war irgendwo zwischen dem Wiehern eines Pferdes und menschlicher Sprache angesiedelt. »Ich hab es mit Sekundenkleber aufgeklebt!«, fügte Tami hinzu, bevor sie in den höchsten Tönen hysterisch zu kichern begann.
»Oh, mein Gott - Tamra, ist dir klar, dass du vielleicht eine Operation brauchen wirst, wenn es nicht irgendein Lösungsmittel dafür gibt?«
Tamis Antwort war ... abscheulich. Außerdem lag plötzlich ein widerwärtiger Geruch in der Luft. Nein, kein Geruch, dachte Elena: ein Gestank nach faulen Eiern, der einen in der Kehle würgte und einem den Magen umdrehte.
»Hoppla!« Wieder stieß Tami dieses hohe, gläserne Kichern aus. »Pardon moi.
Zumindest ist es natürliches Gas.«
Matt räusperte sich. »Elena - ich glaube nicht, dass wir hier sein sollten. Da ihre Familie fort ist und alles ...«
»Sie haben Angst vor mir«, gluckste Tamra. »Ihr etwa nicht?« Ganz plötzlich sprach sie mit einer Stimme, die mehrere Oktaven tiefer war.
Elena sah Tamra in die Augen. »Nein, ich habe keine Angst vor dir. Ich habe nur Mitleid mit einem Mädchen, das zur falschen Zeit am falschen Ort war. Aber ich schätze, Matt hat recht. Wir müssen gehen.«
Tamis ganzes Gehabe schien sich zu verändern. »Es tut mir so leid ... mir war nicht klar, dass ich Gäste von diesem Kaliber habe. Geh nicht, bitte, Matt.« Dann fügte sie an Elena gewandt in einem vertraulichen Flüsterton hinzu: »Taugt er etwas?«
»Was?«
Tami deutete mit dem Kopf auf Matt, der ihr sofort den Rücken zukehrte. Er sah aus, als erfüllte Tamis lächerliche Aufmachung ihn mit einer schrecklichen, schauerlichen Faszination.
»Er. Taugt er was ... in der Kiste?«
»Matt, sieh dir das an.« Elena hielt weiterhin unbeirrt von Tamis Obszönitäten eine kleine Tube Klebstoff hoch. »Ich denke, sie hat dieses Zeug tatsächlich mit Sekundenkleber auf ihre Haut geklebt. Wir müssen das Jugendamt oder was auch immer verständigen. Ob ihre Eltern davon wussten oder nicht, sie hätten sie nicht allein lassen dürfen.«
»Ich hoffe nur, dass es ihnen gut geht. Ihrer Familie«, sagte Matt düster, als sie sich von der Tür abwandten und zum Wagen gingen, während Tami ihnen wild plappernd folgte.
Als Elena auf dem Beifahrersitz saß, sah sie Matt beklommen an. »Vielleicht bringen wir sie
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