Tagebuch Eines Vampirs 06. Seelen Der Finsternis
halbes Blatt.
Die Wächterin sah sie mit einem verwirrten Ausdruck in ihren reinblauen Augen an. Elena wurde schon ihr Leben lang angestarrt– jung und schön zu sein, bedeutete, dass man nur dann unruhig wurde, wenn die Leute einen nicht anstarrten. Aber die Verwirrung der Wächterin war ein wenig besorgniserregend. Las die hochgewachsene Frau ihre Gedanken? Elena versuchte, eine weitere Schicht von weißem Lärm über ihren Geist zu legen. Was herauskam, waren einige Zeilen von einem Britney-Spears-Song. Sie versuchte, ihn in ihren Gedanken so laut wie möglich werden zu lassen.
Die hochgewachsene Frau legte zwei Finger an die Schläfe, als habe sie plötzlich Kopfschmerzen bekommen. Dann sah sie Meredith an.
» Warum… bist du hier?«
Normalerweise log Meredith überhaupt nicht, aber wenn sie es tat, betrachtete sie es als eine intellektuelle Kunst. Glücklicherweise versuchte sie außerdem niemals, etwas zu reparieren, das nicht zerbrochen war. » Für mich gilt das Gleiche«, antwortete sie bekümmert.
» Und du?« Die Frau schaute Bonnie an, die aussah, als würde sie sich übergeben müssen.
Meredith versetzte Bonnie einen leichten Stoß. Dann starrte sie sie durchdringend an. Elena starrte sie noch durchdringender an, denn sie wusste, dass Bonnie nichts anderes tun musste, als » ich auch« zu murmeln. Und Bonnie war gut in diesem » Ich auch«, wenn Meredith erst mal eine Position festgelegt hatte.
Das Problem war, dass sich Bonnie in Trance befand oder so nahe dran war, dass es keine Rolle spielte.
» Schattenseelen«, sagte Bonnie.
Die Frau blinzelte, aber nicht so, wie man blinzelt, wenn jemand etwas völlig Unsinniges sagt. Sie blinzelte vor Erstaunen.
Oh Gott, dachte Elena. Bonnie hat ihr Passwort erwischt oder irgendetwas. Sie macht Prophezeiungen oder Vorhersagen oder was auch immer.
» Schatten… seelen?«, wiederholte die Wächterin, während sie Bonnie eingehend betrachtete.
» Die Stadt ist voll von ihnen«, erklärte Bonnie unglücklich.
Die Finger der Wächterin tanzten über etwas, das aussah wie ein Minicomputer. » Das wissen wir. Dies ist der Ort, an den sie kommen.«
» Dann sollten Sie dem ein Ende bereiten.«
» Wir haben nur begrenzte Befugnisse. Die Dunkle Dimension wird von einem Dutzend Gruppen von Oberlords beherrscht, deren Befehle von Slumlords ausgeführt werden.«
Bonnie, dachte Elena und versuchte, Bonnies mentalen Nebel zu durchdringen, selbst auf die Gefahr hin, dass die Wächterin sie hörte. Diese Leute sind die Polizei.
Im gleichen Augenblick übernahm Damon. » Für sie gilt das Gleiche wie für die anderen«, sagte er. » Nur dass sie Hellseherin ist.«
» Euch hat niemand nach eurer Meinung gefragt«, blaffte die Wächterin ihn an, ohne auch nur in Damons Richtung zu schauen. » Es kümmert mich nicht, was für ein hohes Tier Ihr woanders seid«– sie machte eine verächtliche Bewegung mit dem Kopf– » hinter diesem Zaun seid Ihr auf meinem Territorium. Und ich frage die kleine Rothaarige: Sagt er die Wahrheit?«
Einen Moment lang stieg Panik in Elena auf. Nach allem, was sie durchgemacht hatten, wenn Bonnie es jetzt vermasselte…
Diesmal blinzelte Bonnie. Was immer sie sonst noch zu übermitteln versuchte, es stimmte, dass für sie das Gleiche galt wie für Meredith und Elena. Und es stimmte, dass sie Hellseherin war. Bonnie war eine lausige Lügnerin, wenn sie zu viel Zeit hatte, um über die Dinge nachzudenken, aber in diesem Fall konnte sie ohne Zögern antworten: » Ja, das stimmt.«
Die Wächterin starrte Damon an.
Damon starrte zurück, als könne er das die ganze Nacht tun. Darauf verstand er sich bestens.
Und die Wächterin winkte sie durch.
» Ich nehme an, selbst eine Hellseherin kann einen schlechten Tag haben«, sagte sie, dann fügte sie an Damon gewandt hinzu: » Passt auf die Mädchen auf. Euch ist doch klar, dass alle Hellseher genehmigt werden müssen?«
Damon erwiderte mit seinem besten Grandseigneur -Benehmen: » Madame, es sind keine professionellen Hellseherinnen. Sie sind meine privaten Assistentinnen.«
» Und ich bin keine ›Madame ‹ ; ich werde mit ›Euer Gerechtigkeit‹ angesprochen. Übrigens, Spielsüchtige finden hier im Allgemeinen ein schreckliches Ende.«
Haha, dachte Elena. Wenn sie nur wüsste, was für eine Art von Glücksspiel wir hier alle betreiben… Nun, dann wären wir wahrscheinlich schlimmer dran, als Stefano es im Augenblick ist.
Hinter dem Zaun befand sich ein Innenhof. Hier standen
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