Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
oder gefallenen Frauen … Je stärker die
Empfindung, umso schlimmer das Phantom, das daraus entsteht.‹ Ich
denke, das hätten wir auch selbst rausfinden können.«
Mrs Flowers stand ein wenig abseits vom Rest der Gruppe, den leeren
Blick in die Luft gerichtet, und murmelte scheinbar in einem Selbstge-
spräch vor sich hin, während sie sich mit ihrer Mutter austauschte.
»Ich weiß«, sagte sie. »Ich werde es ihnen sagen.« Jetzt richtete sich ihr
Blick wieder auf die anderen, die um Stefano herumstanden und über
seine Schulter spähten. »Ma ma sagt, die Zeit werde knapp«, warnte sie.
Stefano explodierte. »Ich weiß, dass die Zeit knapp wird«, brüllte er und
sprang direkt vor die überraschte Mrs Flowers. »Kann Ihre Frau Ma ma
uns zur Abwechslung nicht mal etwas Nützliches sagen?«
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Mrs Flowers taumelte zurück und streckte die Hand aus, um sich an der
Rückenlehne eines Sessels festzuhalten. Ihr Gesicht war weiß, und plötz-
lich sah sie älter und zerbrechlicher aus denn je.
Stefanos Augen weiteten sich, ihre Farbe verdunkelte sich zu einem
stürmischen Seegrün, und er streckte mit entsetzter Miene die Hände aus.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Mrs Flowers, es tut mir furchtbar leid. Ich
wollte Sie nicht erschrecken. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist
… Ich mache mir nur solche Sorgen um Elena und die anderen.«
»Ich weiß, Stefano«, antwortete Mrs Flowers ernst. Sie hatte ihr
Gleichgewicht wiedergefunden und wirkte wieder stärker, ruhig und weise.
»Wir werden sie zurückholen. Hab Vertrauen. Ma ma hat es.«
Stefano setzte sich und wandte sich wieder dem Buch zu. Seine Lippen
waren zu einer geraden Linie zusammengepresst.
Meredith, deren Haut vor Anspannung kribbelte, umfasste ihren
Kampfstab fester, während sie ihn beobachtete. Als sie den anderen offen-
bart hatte, dass die Mitglieder ihrer Familie seit jeher Vampirjäger waren
und dass sie jetzt dieses Erbe weiterführen würde, hatte sie Elena und Ste-
fano versichert, dass sie sich niemals gegen ihre Freunde, gegen Stefano
wenden würde; dass sie verstand, dass er nicht wie andere böse Vampire
war; dass er gut war: harmlos und Menschen gegenüber wohlwollend.
Was Damon betraf, hatte sie ein solches Versprechen nicht gegeben, und
Elena und Stefano hatten sie auch nicht darum gebeten. Unausgesprochen
waren sie sich einig darüber, dass man Damon nicht wirklich als harmlos
bezeichnen konnte, nicht einmal, wenn er widerstrebend mit ihnen
zusammenarbeitete, und dass Meredith sich in Bezug auf ihn alle Möglich-
keiten offen halten musste.
Aber Stefano … Sie hätte nie gedacht, dass es so weit kommen würde.
Aber jetzt machte Meredith sich Sorgen, dass sie eines Tages vielleicht
nicht länger in der Lage wäre, ihr Versprechen in Bezug auf Stefano zu hal-
ten. Sie hatte ihn noch nie zuvor so gesehen wie in letzter Zeit: irrational,
wütend, gewalttätig, unberechenbar. Sie wusste, dass sein Benehmen
wahrscheinlich von dem Phantom beeinflusst wurde, aber – wurde
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Stefano zu gefährlich? Und konnte sie ihn töten, wenn es sein musste? Er
war ihr Freund.
Meredith’ Herz raste. Ihre Fingerknöchel traten weiß hervor, und die
Hand um ihren Kampfstab schmerzte. Ja, durchzuckte es sie, sie würde
gegen Stefano kämpfen und versuchen, ihn zu töten, wenn es sein musste.
Es stimmte, dass er ihr Freund war, aber ihre Pflicht musste an erster
Stelle kommen.
Sie holte tief Luft und entspannte bewusst die Hände. Bleib ruhig,
ermahnte sie sich. Atme tief durch. Stefano hatte sich mehr oder weniger
unter Kontrolle. Es war keine Entscheidung, die sie wirklich treffen
musste. Jedenfalls jetzt noch nicht.
Einige Minuten später hörte Stefano auf zu blättern. »Hier«, verkündete
er. »Ich denke, das ist es.« Er reichte Mrs Flowers das Buch. Sie überflog
schnell die Seite und nickte. »Das scheint mir das richtige Ritual zu sein«,
sagte sie ernst. »Ich sollte alles haben, was wir brauchen, um es gleich hier
im Haus durchzuführen.«
Alaric griff nach dem Buch. Auch er las den Zauber und runzelte die
Stirn. »Muss es denn ein Blutzauber sein?«, fragte er Mrs Flowers. »Wenn
es schiefgeht, könnte das Phantom in der Lage sein, den Zauber gegen uns
zu verwenden.«
»Ich fürchte, es wird ein Blutzauber sein müssen«, antwortete Mrs
Flowers. »Wenn wir den Zauber verändern wollten, würden wir viel Zeit
zum Experimentieren brauchen, und Zeit ist das
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