Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
hätte.
»Er ist die reinste Person, die ich kenne«, sagte Meredith leise. Alaric
sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, und sie stieß ihm den Ellbo-
gen in die Rippen. »Rein im Geiste, meine ich. Bei Matt bekommst du, was
du siehst: Er ist durch und durch gut und aufrichtig.«
»Na schön«, meinte Stefano und beobachtete kommentarlos, wie
Meredith für sich selbst eine dunkelbraune Kerze wählte.
Alaric stöberte in der Tüte und entschied sich für eine dunkelgrüne
Kerze, und Sabrina wählte einen blassen Lavendelton. Mrs Flowers nahm
die Plastiktüte mit den übrigen Kerzen wieder an sich und verstaute sie auf
einem hohen Regal in der Nähe des Garagentores, zwischen einem Beutel
mit Pflanzerde und etwas, das aussah wie eine altmodische Petroleum-
laterne. Dann setzten sich alle außerhalb des Diagramms in einem Halb-
kreis auf den Boden, schauten auf den leeren inneren Kreis und hielten
ihre nicht brennenden Kerzen in der Hand. Ihre bewusstlosen Freunde la-
gen hinter ihnen, und Meredith hielt Bonnies Kerze neben ihrer eigenen
auf dem Schoß; Stefano nahm Elenas Kerze und Alaric Matts.
»Jetzt salben wir sie mit unserem Blut«, sagte Alaric. Alle sahen ihn an,
und er zuckte entschuldigend die Achseln. »So steht es in dem Buch.«
Meredith holte ein kleines Taschenmesser hervor, schnitt sich in den
Finger und verteilte schnell und sachlich einen Streifen Blut über die gan-
ze Länge ihrer braunen Kerze. Dann reichte sie Alaric das Messer, zusam-
men mit einer kleinen Flasche Desinfektionsmittel. Einer nach dem ander-
en folgte ihrem Beispiel.
»Das ist wirklich unhygienisch«, bemerkte Sabrina und zuckte zusam-
men, aber sie machte mit.
Stefano nahm den Geruch von menschlichem Blut mit allen Sinnen
wahr. Obwohl er gerade erst getrunken hatte, kribbelten automatisch seine
Eckzähne.
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Meredith griff nach den Kerzen, ging zu ihren schlafenden Freunden
und hob nacheinander ihre Hände, um einen schnellen Schnitt anzubring-
en und ihr Blut auf ihre Kerzen zu streichen. Keiner von ihnen zuckte auch
nur zusammen. Als sie fertig war, stellte Meredith die Kerzen der Schläfer
an ihre Plätze und setzte sich dann wieder zu den anderen.
Alaric begann, die ersten Worte des Zaubers zu lesen – auf Lateinisch.
Nach einigen Sätzen zögerte er bei einem Wort, und Stefano ergriff sch-
weigend das Zauberbuch. Mühelos machte er dort weiter, wo Alaric aufge-
hört hatte. Die Worte flossen über seine Zunge und das Gefühl des Latein-
ischen auf seinen Lippen erinnerte Stefano an die vielen vor Hunderten
von Jahren als Kind mit seinem Lehrer verbrachten Lateinstunden und an
jene Zeit, die er – zu Beginn seines inneren Kampfes gegen den Vampiris-
mus – in einem Kloster in England verbracht hatte.
Als der richtige Zeitpunkt gekommen war, schnippte er mit den Fingern,
und seine Kerze entzündete sich wie von selbst. Er reichte sie Meredith,
die etwas von dem geschmolzenen Wachs auf den Betonboden am Rand
des Diagramms tropfte und die Kerze darauf befestigte. So entzündete Ste-
fano eine Kerze nach der anderen, und Meredith stellte sie auf den Boden,
bis zwischen ihnen und den Kreidestrichen des Diagramms eine kleine
Reihe bunter Kerzen tapfer brannte.
Stefano las weiter. Plötzlich begannen die Seiten des Buches zu flattern.
Ein kalter, unnatürlicher Wind erhob sich in der geschlossenen Garage,
und die Flammen der Kerzen flackerten wild und erloschen dann. Zwei
Kerzen fielen um. Meredith peitschte das lange Haar ums Gesicht.
»Das sollte nicht passieren«, rief Alaric.
Aber Stefano kniff nur die Augen gegen den Sturm zusammen und las
weiter.
Die pechschwarze Dunkelheit und das unangenehme Gefühl des freien
Falls dauerten nur einen Moment an, dann landete Elena ruckartig auf
beiden Füßen und taumelte vorwärts. Sie hielt immer noch Bonnies Hand
und hatte jetzt auch Matts ergriffen.
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Sie befanden sich in einem dunklen, rechteckigen Raum, der von Türen
gesäumt war. Ein einziges Möbelstück stand in der Mitte. Und hinter
diesem einsamen Schreibtisch lümmelte sich ein gebräunter, schöner, er-
staunlich muskulöser Vampir mit nacktem Oberkörper, dem eine lange,
gelockte Mähne bronzefarbenen Haars über die Schultern fiel.
Elena wusste sofort, wo sie war.
»Wir sind da«, stieß sie hervor. »Im Torhaus!«
Auf der anderen Seite des Schreibtischs sprang Sage auf die Füße, und
die Überraschung auf seinem Gesicht war fast komisch
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