Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
für einen
Moment an Elenas Schulter. Ihr zierlicher Körper zitterte leicht in Elenas
Armen, und Elena begriff, dass sie nicht die Einzige war, die auf einem
schmalen Grat zwischen Entzücken und Entsetzen wandelte. Sie hatten so
viel gewonnen – aber sie hatten einen sehr hohen Preis dafür bezahlt.
»Tatsächlich«, begann Bonnie begeistert zu erzählen, während sie Elena
losließ, »habe ich meinen neunten Geburtstag in einem ganz ähnlichen
Laden gefeiert. Erinnerst du dich noch an den Hokey-Pokey-Song? Der
Tanz war danach auf der Grundschule der Burner.« Ein heller Schimmer
stand in ihren Augen, vielleicht von Tränen, aber sie reckte entschlossen
das Kinn vor. Bonnie, dachte Elena voller Bewunderung, lässt sich den
Spaß hier bestimmt nicht verderben.
»Ich erinnere mich an diese Party«, sagte Elena und ahmte Bonnies Un-
beschwertheit nach. »Auf deiner Geburtstagstorte war ein großes Bild von
irgendeiner Boy Group.«
»Ich war ein bisschen frühreif«, erklärte Bonnie Tante Judith fröhlich.
»Ich war verrückt nach Jungs, lange bevor irgendeine meiner Fre-
undinnen es war.«
Tante Judith lachte und winkte Margaret an ihren Tisch.
»Wir sollten besser bestellen, bevor die Bühnenshow anfängt«, meinte
sie.
Elena brachte mit großen, rollenden Augen das Wort: Bühnenshow?
zum Ausdruck und sah dabei Bonnie an, die feixte und die Achseln zuckte.
»Wisst ihr, was ihr wollt?«, fragte Tante Judith.
40/328
»Haben sie hier irgendwas anderes als Pizza?«, fragte Elena.
»Chicken Nuggets«, antwortete Margaret, während sie auf ihren Stuhl
kletterte. »Und Hotdogs.«
Elena betrachtete grinsend das zerzauste Haar und die verzückte Miene
ihrer Schwester. »Und was willst du, mein Häschen?«, fragte sie.
»Pizza!«, rief Margaret. »Pizza, Pizza, Pizza.«
»Dann werde ich auch Pizza nehmen«, beschloss Elena.
»Es ist das Beste hier«, verriet Margaret ihnen. »Die Hotdogs schmeck-
en komisch.« Sie zappelte auf ihrem Stuhl herum. »Elena, kommst du zu
meiner Tanzaufführung?«, fragte sie.
»Wann ist die denn?«, erwiderte Elena.
Margaret runzelte die Stirn. »Übermorgen«, sagte sie. »Das weißt du
doch.«
Elena schaute kurz zu Bonnie hinüber, deren Augen groß geworden war-
en. »Das würde ich mir doch nie entgehen lassen!«, erklärte sie Margaret
zärtlich, und ihre Schwester nickte energisch und stellte sich auf ihren
Stuhl, um an das Popcorn heranzukommen.
Während Tante Judith versuchte, Margaret im Zaum zu halten und ein-
er der singenden Kellner an ihren Tisch trat, wechselten Bonnie und Elena
ein Lächeln.
Tanzaufführungen. Singende Kellner. Pizza.
Es war gut, zur Abwechslung einmal in dieser Art von Welt zu leben.
Kapitel Sechs
Der nächste Morgen war wieder klar und heiß, und ein weiterer schöner
Sommertag stand bevor. Elena räkelte sich träge auf ihrem kuscheligen
Bett, dann stand sie auf, zog T-Shirt und Shorts an und tappte in die
Küche, um sich eine Schale Müsli zu genehmigen.
Tante Judith saß am Tisch und flocht Margaret die Haare.
»Morgen«, sagte Elena, während sie Milch in ihre Schale goss.
»Hi, Schlafmütze«, erwiderte Tante Judith. Margaret schenkte ihr ein
breites Lächeln und winkte ihr mit den Fingern zu. »Halt still, Margaret.
Wir werden gleich zum Markt gehen«, erklärte Judith an Elena gerichtet.
»Was hast du heute vor?«
Elena schluckte gerade den ersten Löffel Müsli hinunter. »Wir werden
Alaric und eine Freundin von ihm vom Bahnhof abholen und dann einfach
mit ihnen rumhängen«, sagte sie.
»Wen?«, fragte Tante Judith, und ihre Augen wurden schmal.
Elenas Gedanken überschlugen sich. »Äh, ach, du weißt doch noch, der
Geschichtslehrer, der letztes Jahr für Mr Tanner eingesprungen ist«, ant-
wortete sie und fragte sich, ob das in dieser Welt tatsächlich die Wahrheit
war.
Tante Judith runzelte die Stirn. »Ist er nicht ein wenig zu alt, um sich
mit Mädchen von der Highschool abzugeben?«
Elena verdrehte die Augen. »Wir sind nicht mehr auf der Highschool,
Tante Judith. Und er ist nur sechs Jahre älter als wir. Und es sind nicht
nur Mädchen dabei. Matt und Stefano kommen auch mit.«
Angesichts Tante Judith’ Reaktion auf die Nachricht, dass sie ein wenig
Zeit mit Alaric verbringen würden, konnte Elena verstehen, warum
Meredith zögerte, anderen von ihrer Beziehung zu erzählen. Es war wirk-
lich vernünftig, noch zwei Jahre zu warten, bis die Leute sie als
42/328
Erwachsene
Weitere Kostenlose Bücher