Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
und den Schlamm sinken, zurück
ins Grab – zurück in den Tod.
Irgendwo in seinem Geist flüsterte etwas. Er wusste nicht recht, was es
war, aber Worte und Phrasen wirbelten durch seinen Kopf.
Worte wie verlassen, Worte wie allein.
Ihm war sehr kalt. Er ging weiter. Nach einer Weile begriff er, dass er
vor sich hin murmelte. »Haben mich ganz allein gelassen. Ihn hätten sie
niemals hiergelassen.« Er konnte sich nicht daran erinnern, wer dieser er
war, aber der Groll schenkte ihm eine Art von Befriedigung. Daran klam-
merte er sich, während er seinen Marsch fortsetzte.
Nach einer Zeit, die sich wie eine monotone Ewigkeit anfühlte, geschah
etwas. Vor sich konnte er endlich das Torhaus aus seiner Vorstellung se-
hen: mit hohen Türmchen wie bei einer Märchenburg, schwarz wie die
Nacht.
Er ging schneller, schlurfte durch die Asche. Und dann tat sich plötzlich
die Erde unter seinen Füßen auf. Binnen eines Herzschlags fiel er ins
Nichts. Etwas in ihm heulte auf: nicht jetzt, nicht jetzt. Er grub die
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Fingernägel in die Erde, seine Arme hielten ihn über dem Abgrund, seine
Füße baumelten in der Leere unter ihm.
»Nein«, stöhnte er. »Nein, sie können nicht … lasst mich nicht hier. Ver-
lasst mich nicht noch einmal.« Seine Finger glitten ab, Schlamm und
Asche rutschten unter seinen Händen weg.
»Damon?«, brüllte eine ungläubige Stimme. Eine große, muskulöse
Gestalt stand mit einem Mal über ihm, und die Silhouette dieser Gestalt
zeichnete sich gegen die Monde und Planeten am Himmel ab. Die Brust
des Mannes war nackt, und lange, gedrehte bronzefarbene Locken er-
gossen sich über seine Schultern. Diese Statue von einem Mann beugte
sich vor, packte ihn an den Armen und zog ihn hoch.
Er heulte vor Schmerz auf. Unter der Erde hatte sich etwas an seine
Beine geklammert und zog ihn wieder herunter.
»Halt dich fest!« Der andere Mann ächzte, und seine Muskeln spannten
sich an. Er mühte sich ab und kämpfte gegen das unbekannte Etwas, das
sich an Damon klammerte – Damon hatte der Mann ihn genannt, und das
fühlte sich irgendwie richtig an. Der Mann unternahm eine letzte gewaltige
Anstrengung, und endlich ließ die Macht von Damon ab und er schoss aus
der Erde empor und riss seinen Retter zu Boden.
Keuchend und erschöpft lag Damon da.
»Du solltest tot sein«, sagte der andere Mann, rappelte sich hoch und
streckte eine Hand aus, um ihm zu helfen. Er schob sich eine lange Locke
aus dem Gesicht und sah Damon mit bronzefarbenen Augen ernst und be-
sorgt an. »Die Tatsache, dass du es nicht bist … eh bien, ich bin nicht so
überrascht darüber, wie ich wohl sein sollte.«
Damon blinzelte seinen Retter an, der ihn aufmerksam beobachtete. Er
befeuchtete die Lippen und versuchte zu sprechen, aber seine Stimme
wollte nicht kommen.
»Seit deine Freunde gegangen sind, ist hier alles ein einziges Durchein-
ander«, erzählte der Mann. »Etwas Entscheidendes hat sich in diesem
Universum bewegt. Die Dinge sind nicht mehr, wie sie waren.« Er
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schüttelte mit besorgter Miene den Kopf. »Aber sag mir, mon cher, wie ist
es möglich, dass du hier bist?«
Endlich fand Damon seine Stimme wieder. Sie klang rau und zittrig.
»Ich … ich weiß es nicht.«
»Ich denke, die Situation schreit nach etwas schwarzmagischem Wein,
n’est-ce pas ?«, sagte der Mann mit einem fast liebevollen Tonfall. » Und vi-
elleicht nach etwas Blut und der Möglichkeit, uns zu waschen. Und dann,
Damon, müssen wir reden.«
Er deutete auf die dunkle Burg vor ihnen. Damon zögerte einen Moment
lang und betrachtete die Leere und die Asche um sie herum, dann trottete
er hinter dem Mann auf die offenen schwarzen Türen zu.
Unmittelbar nachdem Stefano so plötzlich abgerauscht war, schlug die
Vordertür zu – er hatte also nicht nur das Zimmer verlassen, sondern auch
das Haus. Bonnie schlang die Arme um ihren Oberkörper und zitterte.
Eine kleine Stimme in ihrem Hinterkopf sagte ihr, dass etwas ganz, ganz
übel war.
Sabrina brach schließlich das Schweigen. »Interessant«, bemerkte sie.
»Ist er immer so … impulsiv? Oder ist das für Vampire typisch?«
Alaric lachte trocken. »Auf mich hat er immer einen sehr ruhigen und
besonnenen Eindruck gemacht. Ich erinnere mich nicht daran, dass er
jemals so heftig gewesen wäre.« Er strich sich mit der Hand durch sein
sandfarbenes Haar. »Aber vielleicht war es auch nur der Gegensatz zu
seinem Bruder, der ihn so
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