Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
ver-
schwand zwischen den Bäumen, durch den älteren und wilderen Teil des
Friedhofs.
Elena holte tief Luft, wischte sich über die Augen und wählte den No-
truf. »Es hat einen Unfall gegeben«, sagte sie mit panischer Stimme, als
die Vermittlung sich meldete. »Ich bin auf dem Friedhof von Fell’s Church,
drüben am Bürgerkriegsdenkmal am Rande des neueren Teils. Ich habe je-
manden gefunden … es sieht so aus, als sei er irgendwie bewusstlos gesch-
lagen worden …«
Kapitel Neunzehn
»Ehrlich, Elena«, sagte Tante Judith kopfschüttelnd, während sie den
Rückspiegel des Wagens einstellte. »Ich weiß nicht, warum solche Dinge
immer dir passieren, aber du gerätst ständig in die merkwürdigsten
Situationen.«
»Erzähl mir etwas Neues«, seufzte Elena, ließ sich auf den Beifahrersitz
fallen und stützte den Kopf in die Hände. »Danke, dass du mich abholst,
Tante Judith. Ich war einfach zu zittrig, um selbst zu fahren, nachdem ich
mit Caleb im Krankenhaus war und allem.« Sie schluckte. »Es tut mir leid,
dass ich am Ende Margarets Ballettaufführung doch noch verpasst habe.«
Tante Judith tätschelte Elenas Knie mit ihrer kühlen Hand, ohne den
Blick von der Straße abzuwenden. »Ich habe Margaret erzählt, dass Caleb
verletzt wurde und dass du dich um ihn kümmern musstest. Sie hat es ver-
standen. Aber im Augenblick mache ich mir mehr Sorgen um dich. Es
muss ein Schock gewesen sein, einen Verletzten zu finden, vor allem als du
gemerkt hast, dass es jemand ist, den du kennst. Was genau ist eigentlich
passiert?«
Elena zuckte die Achseln und wiederholte die Lüge, die sie bereits der
Polizei erzählt hatte. »Ich habe ihn einfach dort gefunden, als ich Mom
und Dad besucht habe.« Sie räusperte sich, bevor sie weitersprach. »Im
Krankenhaus wollen sie ihn zwei Tage zur Beobachtung dabehalten. Sie
denken, er hat eine schwere Gehirnerschütterung. Er ist im Krankenwagen
ein wenig aufgewacht, war aber ziemlich benommen und konnte sich nicht
daran erinnern, was passiert ist.« Zum Glück, dachte Elena. Was, wenn er
gesagt hätte, er sei von Elena Gilberts Freund angegriffen worden, der ir-
gendwie merkwürdige Zähne habe? Was, wenn er gesagt hätte, ihr Freund
sei ein Ungeheuer? Es wäre wieder alles so gewesen wie im letzten Herbst.
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Tante Judith runzelte mitfühlend die Stirn und schüttelte den Kopf.
»Nun, Caleb hat Glück, dass du vorbeigekommen bist. Er hätte tagelang
dort liegen können, bevor ihn jemand gefunden hätte.«
»Ja, Glück«, erwiderte Elena mit hohler Stimme. Sie rollte den Saum
ihres T-Shirts zwischen den Fingern hin und her und stellte verblüfft fest,
dass sie darunter noch immer ihren Badeanzug trug. Dabei schien das
Picknick dieses Nachmittags eine Million Jahre zurückzuliegen.
Dann fiel ihr etwas auf, das Tante Judith gesagt hatte. »Wie meinst du
das, er hätte tagelang da liegen können? Ohne dass jemand nach ihm
suchen würde? Was ist denn mit seiner Tante und seinem Onkel?«
»Ich habe versucht, sie zu erreichen, nachdem du mich angerufen hat-
test, aber es scheint, als sei Caleb schon seit einer ganzen Weile auf sich al-
lein gestellt. Denn als ich sie dann am Telefon hatte, waren sie gar nicht in
der Stadt, sondern im Urlaub, und offen gesagt, haben sie nicht gerade den
Eindruck gemacht, als seien sie allzu besorgt um ihren Neffen – selbst
nachdem ich ihnen erzählt hatte, was geschehen war.« Sie seufzte schwer.
»Ich werde ihn morgen besuchen und ihm ein paar Blumen aus unserem
Garten bringen, in dem er so viel gearbeitet hat. Das wird ihm gefallen.«
»Hmm«, murmelte Elena langsam. »Ich dachte, ich hätte ihn so ver-
standen, dass er hergekommen sei, um bei seiner Tante und seinem Onkel
zu wohnen, weil sie sich so sehr über Tylers Verschwinden aufgeregt
haben.«
»Mag sein«, gab Tante Judith trocken zurück, »aber jetzt geht es den
Smallwoods anscheinend wieder ziemlich gut. Sie sagten, ihrer Meinung
nach würde Tyler schon wieder nach Hause kommen, wenn er so weit sei.
Dieser Junge war irgendwie immer ein wenig … nun ja, außer Kontrolle.
Es hört sich ganz danach an, als mache Caleb sich größere Sorgen um
Tyler als seine Eltern.«
Sie parkte das Auto in der Einfahrt des Gilbertschen Hauses, und Elena
folgte ihr in die Küche, wo Robert am Tisch seine Zeitung las.
»Elena, du siehst ja vollkommen fertig aus«, sagte er, faltete die Zeitung
zusammen und musterte sie besorgt. »Geht es
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