Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
vertreiben, und genauso leicht
kann ich dich einfach töten. Und ich werde beides tun, wenn du mich auf
die Idee bringst, dass das notwendig ist. Ich werde nicht zögern.«
Elena hielt Stefanos Arm fest. »Hör auf damit! Hör auf!«, rief sie. Sie
zog ihn an sich und versuchte, ihn umzudrehen, damit sie in seine Augen
schauen konnte, damit sie ihn endlich irgendwie erreichte.
Ruhig ein- und ausatmen, befahl sie sich verzweifelt. Sie musste die
Dinge hier in den Griff kriegen. Sie bemühte sich um eine feste Stimme,
bemühte sich, rational zu klingen. »Stefano, ich weiß nicht, was du über
Caleb denkst, aber halte einfach für einen Moment inne und ordne deine
Gedanken.«
»Elena, sieh mich an«, entgegnete Stefano und drehte sich endlich zu
ihr um. Seine Augen waren dunkel. »Ich weiß absolut sicher, dass Caleb
böse ist. Er ist eine Gefahr für uns. Wir müssen uns seiner entledigen, be-
vor er die Gelegenheit dazu bekommt, uns zu vernichten. Wir dürfen ihm
keine Chance geben, die Oberhand zu gewinnen, indem wir darauf warten,
dass er seinen nächsten Schritt tut.«
»Stefano …«, stieß Elena hervor. Ihre Stimme zitterte, und irgendein
Teil von ihr bemerkte, dass es sich wohl genauso anfühlte, wenn die Per-
son, die man am meisten liebte, den Verstand verlor.
Sie wusste nicht, was sie als Nächstes sagen sollte, und bevor sie auch
nur den Mund öffnen konnte, war Caleb wieder aufgestanden. Er hatte
einen langen Kratzer auf der Wange, und sein blondes Haar war zerzaust
und voller Erde.
»Verzieh dich«, sagte Caleb entschlossen und ging auf Stefano zu. Er
humpelte ein klein wenig und hielt einen faustgroßen Stein in der rechten
Hand. »Du kannst nicht einfach …« Er hob drohend den Stein.
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»Hört auf, alle beide«, brüllte Elena und bemühte sich um eine her-
rische Generalstimme, die die Aufmerksamkeit der beiden erregen würde.
Aber Caleb hob nur den Stein und warf ihn direkt nach Stefano.
Stefano wich dem Stein so schnell aus, dass Elena es kaum sehen kon-
nte. Dann packte er Caleb am Handgelenk und schleuderte ihn mit einer
einzigen anmutigen Bewegung in die Luft. Einen Moment lang schwebte
Caleb über dem Boden und wirkte dabei so leicht und knochenlos wie eine
Vogelscheuche, die jemand auf die Ladefläche eines Pick-ups geworfen
hatte. Dann traf er mit einem grauenvollen Knirschen auf das marmorne
Bürgerkriegsdenkmal. Mit einem dumpfen Aufprall fiel er am Fuß der
Statue zu Boden und regte sich nicht mehr.
»Caleb!«, schrie Elena entsetzt. Sie rannte auf ihn zu und kämpfte sich
durch die Büsche und Gräser, die das Denkmal umstanden.
Seine Augen waren geschlossen, sein Gesicht bleich. Elena konnte die
hellblauen Adern auf seinen Lidern sehen. Unter seinem Kopf breitete sich
eine Blutlache aus. Er hatte einen Schmutzfleck auf dem Gesicht, und
dieser Fleck und der lange, rote Kratzer auf seiner Wange schienen plötz-
lich das Herzzerreißendste zu sein, was sie je gesehen hatte. Er bewegte
sich nicht. Sie konnte nicht erkennen, ob er noch atmete.
Elena fiel auf die Knie und tastete mit ihren Fingern hektisch nach
Calebs Puls. Als sie an seinem Hals das stetige Summen eines Herzschlags
fühlte, keuchte sie vor Erleichterung auf.
»Elena.« Stefano war ihr zu Caleb gefolgt. Er legte ihr eine Hand auf die
Schulter. »Bitte, Elena.«
Elena schüttelte den Kopf. Sie weigerte sich, ihn anzusehen und stieß
seine Hand von sich. Dann tastete sie in ihrer Tasche nach ihrem Handy.
»Mein Gott, Stefano«, sagte sie gepresst, »du hättest ihn töten können. Du
musst hier weg. Ich kann der Polizei erzählen, dass ich ihn so gefunden
hätte, aber wenn sie dich sehen, werden sie wissen, dass ihr zwei mitein-
ander gekämpft habt.« Sie schluckte hörbar, als sie bemerkte, dass der
Dreck auf Calebs Hemd ein Abdruck von Stefanos Hand war.
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»Elena«, flehte Stefano sie an. Bei der Qual in seinem Tonfall drehte sie
sich endlich zu ihm um. »Elena, du verstehst nicht. Ich musste ihn aufhal-
ten. Er war eine Bedrohung für dich.« Stefanos juwelgrüne Augen flehten
sie an, und Elena musste ihre ganze Kraft aufbieten, um nicht in Tränen
auszubrechen.
»Du musst gehen«, sagte sie. »Geh nach Hause. Wir reden später.« Und
verletze niemanden mehr, dachte sie und biss sich auf die Unterlippe.
Stefano starrte sie für einen langen Moment an, dann trat er endlich ein-
en Schritt zurück. »Ich liebe dich, Elena.« Er drehte sich um und
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