Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
Ich wollte eigentlich herunterkommen
und mich davon überzeugen, dass es dir gut geht, aber dein Freund hat
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mich gesehen und ist den Pfad hinauf auf mich zugerannt, als wolle er sich
auf mich stürzen, und ich schätze, ich habe einfach Panik gekriegt.«
Er grinste plötzlich. »Normalerweise bin ich nicht so feige«, erklärte er.
»Aber er sah richtig tollwütig aus.«
Überraschenderweise fühlte Elena sich entwaffnet. Ihre Schulter
schmerzte noch immer von Calebs Griff. Aber er wirkte so aufrichtig, und
seine Entschuldigung klang ehrlich.
»Wie auch immer«, fuhr Caleb fort und musterte sie jetzt freimütig mit
seinen hellblauen Augen. »Ich bin dann irgendwann zu meiner Tante und
zu meinem Onkel zurückgefahren und habe dabei deinen Wagen auf dem
Friedhofsparkplatz entdeckt. Ich bin nur hergekommen, weil ich mit dir
reden und mich davon überzeugen wollte, dass es dir wirklich gut geht.
Und dann, als ich in deine Nähe kam, hast du dich hingesetzt und geredet,
und ich schätze, es war mir peinlich. Ich wollte dich nicht stören, und ich
wollte nicht in etwas so Persönliches hereinplatzen, also habe ich einfach
gewartet.« Wieder zog er schüchtern den Kopf ein. »Und stattdessen habe
ich dich am Ende überfallen und zu Tode erschreckt, was sicher nicht
gerade die bessere Variante war. Es tut mir wirklich leid, Elena.«
Elenas Herzschlag normalisierte sich endlich wieder. Was immer Calebs
Absichten gewesen waren, er würde sie offensichtlich nicht wieder angre-
ifen. »Ist schon gut«, antwortete sie. »Ich hatte mir unter Wasser den Kopf
an einem Felsen angeschlagen. Aber jetzt ist alles wieder in Ordnung. Es
muss ziemlich unheimlich gewirkt haben, wie ich einfach hier gesessen
und vor mich hin gemurmelt habe. Manchmal komme ich her, um mit
meinen Eltern zu reden, das ist alles. Hier sind sie begraben.«
»Das ist nicht unheimlich«, sagte er leise. »Ich ertappe mich auch
manchmal dabei, dass ich mit meinen Eltern rede. Wenn irgendetwas
passiert und ich wünschte, sie wären bei mir, fange ich an, ihnen davon zu
erzählen, und dann habe ich das Gefühl, sie seien da.« Er schluckte
hörbar. »Obwohl es schon einige Jahre her ist, hört man nie auf, sie zu
vermissen, nicht wahr?«
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Als Elena die Traurigkeit auf Calebs Gesicht sah, lösten sich auch die let-
zten Reste von Wut und Angst auf. »Oh, Caleb«, murmelte sie und beugte
sich vor, um ihn am Arm zu berühren.
Da bemerkte sie aus dem Augenwinkel eine plötzliche Bewegung, und
dann tauchte scheinbar aus dem Nichts Stefano auf. Er rannte unglaublich
schnell direkt auf sie zu.
»Caleb«, knurrte er, packte ihn am Hemd und warf ihn zu Boden. Caleb
stieß ein Ächzen der Überraschung und des Schmerzes aus.
»Stefano, nein!«, rief Elena.
Stefano fuhr herum, um sie anzusehen. Seine Augen waren hart und
seine Reißzähne zu voller Länge ausgefahren. »Er ist nicht das, was er zu
sein behauptet, Elena«, erklärte er mit unheimlich ruhiger Stimme. »Er ist
gefährlich.«
Caleb rappelte sich langsam auf, wobei er sich an einem Grabstein fes-
thielt. Er starrte Stefanos Reißzähne an. »Was ist hier los?«, fragte er.
»Was bist du?«
Stefano drehte sich zu ihm um und schlug ihn beinahe lässig wieder zu
Boden.
»Stefano, hör auf damit!«, schrie Elena, außerstande, einen hys-
terischen Unterton in ihrer Stimme zu vermeiden. Sie wollte seinen Arm
packen, griff aber daneben. »Du tust ihm weh!«
»Er will dich, Elena«, knurrte Stefano. »Verstehst du das nicht? Du
kannst ihm nicht vertrauen.«
»Stefano«, flehte Elena. »Hör mir zu. Er hat nichts Unrechtes getan. Du
weißt das. Er ist ein Mensch.« Sie konnte spüren, wie sich heiße Tränen in
ihren Augen sammelten, und sie blinzelte sie weg. Dies war nicht der
richtige Zeitpunkt, um zu jammern und zu weinen. Dies war der Zeit-
punkt, um kühl und vernünftig zu sein und Stefano daran zu hindern,
noch weiter die Kontrolle zu verlieren.
Caleb erhob sich taumelnd auf die Füße und verzog vor Schmerz das
gerötete Gesicht. Unbeholfen versuchte er, Stefano anzugreifen. Es gelang
ihm, einen Arm um Stefanos Hals zu schlingen und ihn zur Seite zu reißen,
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aber dann warf Stefano ihn mit scheinbar müheloser Stärke wieder zu
Boden.
Stefano ragte drohend vor ihm auf, als Caleb ihn vom Gras aus
anstarrte.
»Du kannst nicht gegen mich kämpfen«, grollte Stefano. »Ich bin stärk-
er als du. Ich kann dich aus dieser Stadt
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