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Tagebuch (German Edition)

Tagebuch (German Edition)

Titel: Tagebuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Frank
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niemand würde Sie besonders bescheiden finden.«
    Frau van Daan: »Ich würde gerne wissen wollen, worin ich unbescheiden bin! Wenn ich hier nicht für mich selbst sorgen würde, müsste ich verhungern, ein anderer täte es bestimmt nicht. Aber deshalb bin ich wirklich genauso bescheiden wie Ihr Mann.«
    Mutter konnte bei dieser albernen Selbstverteidigung nur lachen. Das irritierte Frau van Daan, die ihre Ausführungen noch mit einer langen Reihe prächtiger deutsch-niederländischer und niederländisch-deutscher Worte fortsetzte, bis die geborene Rednerin sich so in ihren eigenen Worten verhedderte, dass sie sich schließlich vom Stuhl erhob und aus dem Zimmer gehen wollte. Ihr Blick fiel auf mich. Das hättest du sehen müssen! Unglücklicherweise hatte ich in dem Moment, als sie uns den Rücken zeigte, mitleidig und ironisch mit dem Kopf geschüttelt, nicht mit Absicht, sondern ganz unwillkürlich, so intensiv hatte ich den Wortschwall verfolgt. Frau van Daan kehrte um und fing an zu keifen, laut, deutsch, gemein und unhöflich, genau wie ein dickes, rotes Fischweib. Es war ein Vergnügen, sie anzuschauen. Wenn ich zeichnen könnte, hätte ich sie am liebsten in dieser Haltung gezeichnet, so komisch war dieses kleine, verrückte, dumme Weib! Aber eines weiß ich jetzt: Man lernt die Menschen erst gut kennen, wenn man einmal richtigen Streit mit ihnen gehabt hat. Erst dann kann man ihren Charakter beurteilen!
    Deine Anne

Dienstag, 29. September 1942
    Liebe Kitty!
    Versteckte erleben seltsame Sachen! Weil wir keine Badewanne haben, waschen wir uns in einem Waschzuber, und weil nur das Büro (damit meine ich immer das gesamte untere Stockwerk) warmes Wasser hat, nutzen wir alle sieben der Reihe nach diesen Vorteil aus. Weil wir nun aber auch so verschieden sind und einige sich mehr genieren als andere, hat sich jedes Familienmitglied einen anderen Badeplatz ausgesucht. Peter badet in der Küche, obwohl die Küche eine Glastür hat. Wenn er vorhat, ein Bad zu nehmen, teilt er jedem einzeln mit, dass wir in der nächsten halben Stunde nicht an der Küche vorbeigehen dürfen. Diese Maßnahme scheint ihm ausreichend. Herr van Daan badet ganz oben. Für ihn macht die Sicherheit des eigenen Zimmers die Unbequemlichkeit wett, das heiße Wasser die ganzen Treppen hochzutragen. Frau van Daan badet vorläufig überhaupt nicht, sie wartet ab, welcher Platz der beste ist. Vater badet im Privatbüro, Mutter in der Küche hinter einem Ofenschirm, und Margot und ich haben das vordere Büro als Planschplatz gewählt. Samstagnachmittags sind dort die Vorhänge zugezogen. Dann reinigen wir uns im Dunkeln, und diejenige, die gerade nicht an der Reihe ist, schaut durch einen Spalt zwischen den Vorhängen aus dem Fenster und beobachtet die komischen Leute draußen.
    Seit letzter Woche gefällt mir dieses Bad nicht mehr, und ich habe mich auf die Suche nach einem bequemeren Platz gemacht. Peter hat mich auf die Idee gebracht, meine Schüssel in die geräumige Bürotoilette zu stellen. Dort kann ich mich hinsetzen, Licht machen, die Tür abschließen, das Wasser ohne fremde Hilfe weggießen und bin sicher vor indiskreten Blicken. Am Sonntag habe ich mein schönes Badezimmer erstmals benutzt, und so verrückt es klingt, ich finde es besser als jeden anderen Platz.
    Am Mittwoch war der Installateur im Haus, um unten die Rohre der Wasserleitung von der Bürotoilette auf den Flur zu verlegen. Diese Veränderung ist in Hinblick auf einen eventuellen kalten Winter gemacht worden, damit die Rohre nicht einfrieren. Der Installateurbesuch war für uns alles andere als angenehm. Nicht nur, dass wir tagsüber kein Wasser laufen lassen durften, wir durften natürlich auch nicht aufs Klo.
    Es ist wohl sehr unfein, wenn ich dir erzähle, was wir getan haben, um dem Übel abzuhelfen. Aber ich bin nicht so prüde, über solche Dinge nicht zu sprechen. Vater und ich haben uns zu Beginn unseres Untertauchens einen improvisierten Nachttopf angeschafft, das bedeutet, wir haben aus Mangel an einem Topf ein Weckglas geopfert. Diese Weckgläser haben wir während des Installateurbesuchs ins Zimmer gestellt und unsere Bedürfnisse tagsüber aufbewahrt. Das fand ich lange nicht so eklig wie die Tatsache, dass ich den ganzen Tag stillsitzen musste und auch nicht reden durfte. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schwer das dem Fräulein Quak-quak-quak gefallen ist. An normalen Tagen dürfen wir ja auch nur flüstern, aber überhaupt nicht zu sprechen und

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