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Tagebücher 01 - Literat und Europäer

Tagebücher 01 - Literat und Europäer

Titel: Tagebücher 01 - Literat und Europäer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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geschrieben zu haben. Bei solchen Zeilen räuspert man sich, senkt man als Leser beschämt den Blick.
    In Alltagsangelegenheiten hingegen wusste dieser Prophet bestens Bescheid. Auch wenn er sich gegen diese Behauptung verwahrte, er kannte sehr wohl den Wert von Rubeln und Kopeken. Erstaunt lese ich, dass er phasenweise auch Morphinist war: Wenn ihn nachts Schmerzen quälten, gab er sich eine Spritze.
    Und doch war er alles in allem einer der Größten, die je zu den Menschen sprachen.
    Ich könnte nicht mit Morphin oder ähnlichen Mitteln leben; das wäre nichts für mich, etwas in mir sträubt sich gegen solche Lösungen. Aber ich stimme H . zu, dass wir das Recht haben, uns das Leben zu nehmen: besonders wenn wir eines Tages auf dem Gipfel ankommen und nicht mehr davon überzeugt sind, dass sich das Lebensgefühl noch steigern lässt.
    Tolstoi war natürlich kein Morphinist, er konnte es gar nicht sein, selbst wenn er dieses Gift regelmäßig nahm. (Was ich nicht glaube.) Es gibt Morphinisten, die sich über Jahrzehnte hinweg täglich zwei, drei bis höchstens fünf Zentigramm spritzen. Und sie erhöhen die Dosis nicht, sie leben und arbeiten. Das sind keine echten Morphinisten.
    Ein echter Morphinist ist gezwungen, die Dosis zu steigern, bis zu einem Gramm und sogar darüber hinaus. Ihn versetzt das Morphin nicht mehr in Euphorie, es setzt nur seinem quälenden Durst ein Ende.
    Es ist verblüffend, wie verschwenderisch die Natur ist. Die Kerne eines Apfels, einer Orange, einer Melone: welch maßloses Übertreiben! Wie viel Vorsicht waltet in einer Walnussschale, und was stellt eine Haselnuss nicht alles an, um sich zu schützen! Der Mensch ist selbst in seinen vorsichtigsten Momenten noch leichtfertiger als eine Frucht oder eine Pflanze.
    Ich sehe keinen Sinn mehr darin, weiterzuleben.
    Der Brunnen hat wenig Wasser, bange lasse ich allmorgendlich den Eimer in die Tiefe hinunter. Ich hadere regelrecht mit den Elementen. Der Weg – rückwärts aus einer Zivilisation – ist viel kürzer, als man annehmen möchte.
    Und es ist nicht wahr, dass »auch unsere Väter so gelebt haben«. Sie hatten sich daran gewöhnt, sie wurden hineingeboren und konnten sich darauf vorbereiten, alle Griffe und Kniffe erlernen. Ich bin schon verwöhnt durch das Fließband der Zivilisation. Hatte andere Sorgen, andere Aufgaben. Ich werde auch das noch erlernen, aber man verlange von mir nichts Überflüssiges und Unmögliches.
    Alle diese Menschen werden für etwas gebraucht. Vielleicht für die Insekten. Vielleicht damit in einer Million Jahren ein neuer Menschentyp entstehen kann. Du und ich, dieser traurige Dünger. Und meine Seele über allem anderen, wirklich? … Auch das ist nicht gewiss.
    Man benachrichtigt mich, dass das kleine Automobil, das ich vor drei Jahren in einer Garage unterstellen musste, von irgendeiner Pfeilkreuzler-Einheit gestohlen wurde.
    Es tut mir leid um den Wagen, ich werde in absehbarer Zeit nicht mehr in den Genuss dieser Zauberkutsche kommen. Die Begründung des Diebs ist jedoch reichlich amüsant: Er hat dem Hausmeister gesagt, er wolle meinen Wagen retten, denn wenn er ihn nicht mitnähme, würden ihn sich die Russen holen!
    Endlich können sich die faschistischen ungarischen Offiziere wohlfühlen: Sie können tun und lassen, was sie wollen. Fünfundzwanzig Jahre lang haben sie sich darauf vorbereitet, sich eine Art Exterritorialität und Unantastbarkeit, eigene Ehrenkodexe und Immunität geschaffen! Jetzt können sie feierlich, mit gen Himmel gerichteten Augen, Willkür und Gewalt praktizieren.
    So hat sich Zrínyi den ungarischen Soldaten nicht vorgestellt.
    Der Sprecher des Pfeilkreuzler-Radios klingt bei der Zeitansage genauso wie ein Vorgesetzter bei der vormilitärischen Levente-Ausbildung, wenn er seine Zöglinge anherrscht.
    Ein englischer oder ein russischer General weiß genau, dass er zu Hause über seine Taten Rechenschaft ablegen muss. Dieses Verantwortungsbewusstsein muss in den Kadettenschulen vermittelt werden, sollte es in Ungarn jemals wieder so etwas wie Erziehung geben.
    Aber dieser Menschentyp ist unbelehrbar. Sie verstehen leider nur die grausame, gewalttätige Wirklichkeit.
    Der Innenminister der Pfeilkreuzler spricht im Radio. Er spricht »männlich«, gebraucht Gemeinplätze, also hat er großen Erfolg. Aber man würde ihn auch dann beklatschen, wenn er eine Seite des Telefonbuchs vorläse.
    Was auch geschieht: Man sollte am Ende mit denen, die das alles geplant und durchgeführt,

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