Tagebücher der Henker von Paris
hinzuzufügen hätten. Bories allein bat, einige Worte sagen zu dürfen. Bis zu Ende seinem hochherzigen Plane getreu, alles auf sich zu nehmen, erhebt er sich und spricht in ernstem und sicherem Tone, wie folgt:
»Meine Herren Geschworenen! Sie haben die Anklageakte, die Zeugen und die Verhandlung gehört, und danach sind Sie ohne Zweifel erstaunt gewesen, das öffentliche Ministerium durch das Organ des Staatsanwalts ausrufen zu hören: »Alle Macht der Beredsamkeit wird nicht ausreichen, Bories der öffentlichen Verfolgung zu entziehen.« Es hat mich als den Häuptling bezeichnet; nun wohl, ich nehme es an. Glücklich bin ich, wenn mein Haupt, indem es über das Schafott rollt, die Freisprechung meiner Kameraden bewirken kann.«
Bei diesen Worten verbreitete sich eine allgemeine Rührung unter den Zuhörern; Mérilhou vermag die seinige nicht zu verbergen, und, indem er seinem großmütigen Klienten Stillschweigen gebietet, nimmt er selber das Wort und fügt mit von Tränen unterbrochener Stimme seiner ergreifenden Verteidigungsrede bewundernswerte Sätze hinzu.
Die Anstrengung war erfolglos. Die Geschworenen hatten ihren Entschluß gefaßt; sie wollten sich unerbittlich zeigen. Übrigens hatten ungeschickte Freunde dem Angeklagten in seltsamer Weise geschadet, indem sie ihm zu dienen glaubten; man hatte den Mitgliedern des Gerichtshofes, den Geschworenen und ihren Familien anonyme Briefe zugeschickt, in welchen der Dolch, das Sinnbild des Karbonarismus, dargestellt war mit dem drohenden Wort: »Tod den Henkern! Das Blut wird durch Blut gerächt werden.«
Diesen Umstand beutete der Staatsanwalt Marchangy in geschicktester Weise aus, indem er sich auf den Mut und die Festigkeit der Geschworenen berief. Dies war, ich wiederhole es, die geschickteste Taktik.
Die eigentlichen Fragen, welche in diesem Prozesse hätten gestellt werden müssen und wodurch die Keimkörnchen eines Komplotts in ihren wahren Verhältnissen dargestellt worden wären, wurden zurückgewiesen, obgleich die Verteidiger darauf bestanden, sie den Geschworenen vorzulegen. Das Programm der Anklageschrift mit allen Übertreibungen wurde der Fragestellung zugrunde gelegt. Im Falle des bejahenden Verdikts mußte sich immer noch eine schreckliche Strafe ergeben, um so schrecklicher, wenn man an die unbedeutenden Tatsachen und an die Jugend der Angeklagten denkt.
Das Resultat war dieses: Bories, Pommier, Raoulx und Goubin wurden schuldig erachtet, in den letzten Monaten des Jahres 1821 oder in den ersten Monaten des Jahres 1822 an einem bestimmten, zwischen mehreren Personen verabredeten Komplott teilgenommen zu haben, welches zum Zweck hatte, entweder die Regierung zu stürzen oder zu ändern, oder die Thronfolge zu ändern, oder die Bürger gegen die königliche Autorität zu bewaffnen, oder den Bürgerkrieg durch Aufreizung der Bürger gegeneinander hervorzurufen; sie wurden zum Tode verurteilt. Andere Angeklagte wurden teils, je nach ihren verbrecherischen Handlungen, zu mehr oder weniger strengen Strafen verurteilt, teils freigesprochen.
Es ist unmöglich, die unbestimmte Ausdrucksweise dieser Fragestellung zu verkennen, deren Bejahung vier junge Häupter dem Schafott überliefern sollte. Es war darin weder die bestimmte Zeit der Verschwörung ausgedrückt, welche entweder in den letzten Monaten des Jahres 1821 oder in den ersten Monaten des Jahres 1822 angesponnen sein sollte, noch der Zweck, welcher entweder dieser oder jener gewesen sein sollte: vier Hypothesen.
Dies ist die Geschichte der politischen Prozesse, wo man um den Tod nicht feilschen läßt.
Bories, Goubin, Raoulx und Pommier hörten ihr Todesurteil mit vollkommener Ruhe an. Der erste neigte sich sogleich zu seinem Verteidiger, löste einige Kleinodien, die er an sich trug, und stellte ihm dieselben mit der Bitte zu, sie einer Person, deren Adresse er ihm gab, als Andenken zu überbringen.
[Das Geheimnis dieser rührenden Botschaft wurde nicht durch den Advokaten, sondern durch die Person, an welche das Vermächtnis gerichtet war, verraten. Länger als vierzig Jahre nach der Hinrichtung Bories' und seiner Gefährten sahen wir eine erst junge, dann gereiftere Frau, endlich eine Matrone fast ganz Paris zu Fuß durchschreiten, um jeden Tag auf den Hügel, welcher auf dem Kirchhofe von Montparnasse die Asche Boires' und seiner drei Kameraden deckte, einen Blumenstrauß zu legen, der ewig blühte, wie die Erinnerung, die sie treu in ihrem Herzen bewahrte. Wie eine zweite Nina
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