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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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blickt verstört. Lehnt (schließlich verständigen wir uns) Vergeblichkeit, Tod als Element seiner Prosa ab, Tod ist nichts als das Nichts. Schreiben, um zu überleben.
    Lehnt alle Konzepte – als europäisch – ab. Lebt(e) ohne Theorie, nie Marx, Lenin, Trotzki gelesen. Sozialist der Praxis – ohne Sozialismus. «Es gibt keinen, nicht in Moskau (wo er gerade herkommt), nicht in Kuba.» Sieht in Kuba keine Menschenrechtsverletzungen: «Sonst würde ich mit Castro brechen.»
    Im Restaurant, nichts ist ihm «einfach» genug. «Last des Ruhmes» – blickt ständig um sich, ob er erkannt wird. Diskussionen (etwa mit Sartre) haßt er.
    Kolumbien: «Ich bin überall Kolumbianer.» «Die herrschende Klasse haßt mich.» «Ihre Funktionäre, die Regierung, unterhalten gute Beziehungen mit mir (wie mit ‹einer Macht›).»
    «Mein Werk ist ohne Denken, ist eine Aneinanderreihung von – gelegentlich größeren – Anekdoten.»
    Über Faulkner: «Gibt keinen – überhaupt keinen – literarischen Einfluß. Nur ähnelt sein Süden ein wenig meiner Karibik.»
    «Herbst der Patriarchen» sei seine «Autobiographie». Will das aber nicht erläutern. Dann: «Es ist mein einziges Buch einer Person, keine gestohlenen (erfundenen) Lebensläufe.»
    Sein literarisches Prinzip sei die «montierte und interpretierte Wirklichkeit». «Ihr Europäer – für uns ist nicht die Sowjetunion der Feind, sondern die USA. Ihr seht und urteilt noch immer von euch aus, als sei Europa noch das Zentrum.»
    Kampen, den 3. September
    Also 1 Jahr älter, genauso alt übrigens, wie mein Vater war, als er starb; den Vater «eingeholt» …
    Das Geburtstagsgeschenk, mir zittern noch die Knie, und die Hände zitterten so, daß ich den Anwalt bitten mußte, den Scheck von seiner Sekretärin tippen zu lassen: ist überdimensional. Ich habe die Nebenwohnung dazugekauft, so daß ich einen wunderbaren großen zweiten (Arbeits-)Raum dazugewinne, nun also nicht mehr nur eine kleine Ferienwohnung, sondern eine regelrecht, auch für längere Zeit, bewohnbare Bleibe; wo man auch zu zweit leben kann, ohne sich auf die Nerven zu gehen (immerhin mit 2. Bad). Was voraussetzt, daß ich auch «zu zweit bleibe» …
    Aber ich bin überglücklich, habe mir ein Märchen wahr gemacht, einen langgehegten Wunschtraum erfüllt. Nun habe ich zwar Riesenschulden – aber ich «wohne» eben in meinen Schulden. Sehr alt werde ich ja doch nicht – da habe ich’s bis dahin bequem.
    Grotesk, wie widersprüchlich mein Leben. Vor ein paar Tagen zu Lesungen und Podiumsdiskussionen in Erlangen, wo man mich geradezu feierte, der Oberbürgermeister kam und bedankte sich für «die beste Diskussion, die wir je hier hatten», die Veranstalter wollten mich «zu mehr und länger» einladen – und genau diese gewisse Souveränität, mit der ich so was «kann», macht mich so unbeliebt. Wir werden das ja an den Reaktionen auf den Roman sehen – der wiederum in Frankreich schon im Manuskript enthusiastisch aufgenommen und per Lizenzvertrag erworben wurde.
    Kampen, den 9. September
    Famous last words nach 10 wunderbaren Tagen hier: in der richtigen Mischung aus Alleinsein und nicht aus «Menschen sehen» und mich in Lektüre vergraben, spazieren gehen, schwimmen, mit dem Fahrrad durch die Dünen gondeln: Es war perfektes, grün-gold schillerndes Spätherbstwetter, jeden Morgen Frühstück auf der Terrasse, das Herbstrauschen und die seltsamerweise im September sich rauher anhörenden Möwen im Ohr. Ich genieße das unbeschreiblich – und freu mich doch sehr auf/über den (allerdings leichtsinnigen) Kauf der angrenzenden Wohnung. Doch in immer kürzer werdenden Abständen die Angst, daß der «Blitz», den ich ja für den Herbst erwarte, daraus besteht, daß hier zwar alles wunderbar geht – ich aber bei der Durchfahrt durch die DDR auf dem Rückwege von Polen verhaftet werde. Dann erscheinen hier Bücher und Artikel und Interviews, und Wohnungen werden behaglich gemacht – nur ich sitze hinter Schloß und Riegel.
    Ich gebe auf dem Postamt Briefe an Grass, Botho Strauß, Hochhuth und Enzensberger auf – der Postbeamte heißt Max Frisch.
    13. (!!) September
    Eigenartige Stimmung, nervös. Zu viele übereinander fotografierte Bilder: Heute ist der Todestag meines Vaters, und ich reise «zu ihm», mal nicht auf fremden Spuren, sondern auf «eigenen»: nach Polen, wo er geboren wurde, studiert hat, meine Großeltern begraben liegen, wo er junger Offizier war – Stolberg, Stargard, Basenthin

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