Tai-Pan
hatte er über das, was sein Vater über Reichtum und Macht und die Art und Weise, wie man sich ihrer bedienen könne, viel nachgedacht. Da er häufig mit Glessing und anderen Leuten, die noch zu Longstaffs Machtbereich gehörten, zusammen war, hatte er das heimliche Schmunzeln oder auch die unverhohlene Freude am Untergang von Noble House beobachten können, und ihm war bewußt geworden, daß ein gänzlich auf sich selbst gestellter Mann ohne die Rechte, die eine gute Herkunft verleiht, oder ohne Macht wehrlos war.
Struan witterte Robbs und Culums Habgier. Sei doch ehrlich, sagte er zu sich, so wirkt Silber auf alle. Sieh dich selber an. Du hast acht oder zehn Menschen umgebracht, um es zu verteidigen. Und du würdest noch hundert weitere töten. Sieh, zu was es dich deinem Sohn und deinem Bruder gegenüber zwingt. Was du ihnen antun mußt.
»Ich habe euch etwas mitzuteilen«, sagte er. »Diese Silberbarren hat man mir geliehen. Auf mein Wort hin. Ich bin Jin-kwa gegenüber dafür verantwortlich. Ich bin es. Und nicht etwa Noble House.«
»Ich verstehe das nicht ganz, Dirk«, stammelte Robb.
»Was hast du da gesagt, Vater?«
Struan holte eine Bibel hervor. »Zuerst müßt ihr mir auf die Heilige Schrift schwören, daß das, was ich euch zu sagen habe, ein Geheimnis zwischen uns dreien bleibt.«
»Ist es denn nötig zu schwören?« entgegnete Robb. »Selbstverständlich würde ich keinem Menschen jemals etwas davon sagen.«
»Und wirst du das beschwören, Robb?«
»Natürlich.«
Er und Culum gelobten Stillschweigen.
Struan legte die Bibel auf das Silber. »Diese Barren werden nur dann zur Rettung von Noble House verwendet, wenn ihr beide euch, falls und sobald einer von euch Tai-Pan wird, einverstanden erklärt, das Unternehmen voll und ganz für die Erhaltung Hongkongs und des Chinahandels einzusetzen. Das war der erste Punkt. Zweitens, der Hauptsitz des Unternehmens hat sich ständig in Hongkong zu befinden. Drittens, ihr habt meine Verantwortung Jin-kwa und seinen Nachfolgern gegenüber zu übernehmen und für mein Wort einzustehen. Ihr habt zu gewährleisten, daß der Nachfolger, den ihr als Tai-Pan einsetzt, ein Gleiches tut. Und schließlich« – Struan deutete auf die Bibel – »habt ihr dem zuzustimmen, daß nur ein Christ, einer aus unserer Sippe, jemals Tai-Pan wird. Schwört dies auf die Heilige Schrift, wie ihr euch auch verpflichtet, euren Nachfolger diese Bedingungen beschwören zu lassen, bevor ihr die Führung abgebt.«
Es folgte ein Schweigen. Dann sagte Robb, der seinen Bruder nur allzu gut kannte: »Sind uns alle Bedingungen bekannt, die Jin-kwa gestellt hat?«
»Nein.«
»Wie lauten die übrigen?«
»Das sage ich euch, nachdem ihr geschworen habt. Ihr könnt mir vertrauen oder ihr laßt es bleiben, ganz wie ihr wollt.«
»Das ist eine schwierige Sache.«
»Mit diesem Barrensilber ist es ebenfalls schwierig, Robb, ich muß mich absichern. Das ist kein Kinderspiel. Ich sehe in euch in diesem Augenblick keine Blutsverwandten. Wir müssen in Zeiträumen von hundert, ja zweihundert Jahren denken.« Struans Augen waren in dem trüben Licht der schwankenden Laterne von leuchtendem Grün. »Ich stelle Noble House auf chinesische Zeit um. Mit euch beiden zusammen, aber auch ohne euch.«
Die Luft schien sich zu verdichten. Robb fühlte, wie ihm Schultern und Nacken feucht wurden. Culum starrte seinen Vater zutiefst verwundert an.
»Was verstehst du unter ›das Unternehmen voll und ganz für die Erhaltung Hongkongs einzusetzen‹?« erwiderte Robb.
»Das bedeutet, hinter ihm zu stehen, es zu beschützen und es zu einem dauerhaften Stützpunkt für den Handel auszubauen. Und Handel bedeutet, China zu erschließen. Ganz China. China in die Familie der Nationen einzuführen.«
»Das ist unmöglich«, rief Robb. »Unmöglich!«
»Vielleicht. Aber genau das ist es, was Noble House zu versuchen gedenkt.«
»Du meinst, es will China helfen, eine Weltmacht zu werden?« fragte Culum.
»Ja.«
»Das ist gefährlich!« stieß Robb hervor. »Das ist Wahnsinn! Es gibt ohnehin schon Schwierigkeiten genug auf der Welt, da müssen wir nicht noch diesem heidnischen Haufen unter die Arme greifen! Sie werden uns alle überschwemmen. Ganz Europa!«
»Jeder vierte Mensch auf der Erde ist jetzt ein Chinese, Robb. Heute haben wir die große Chance, ihnen zu helfen. Sie mit unserer Art zu leben bekannt zu machen. Mit britischen Vorstellungen. Mit Gesetz, Ordnung und Gerechtigkeit. Mit dem Christentum.
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