Tai-Pan
Geduld in Anspruch nehmen darf, dann möchte ich das bis zum nächsten Monat aufschieben. Ich möchte weiterhin den Kredit in Anspruch nehmen, den Sie mir freundlicherweise eingeräumt haben, jedoch mit größter Vorsicht.«
Struan rollte das Papier zusammen und gab es zurück.
»Aber nein, Tai-Pan. Das ist doch Ihr Exemplar.«
»Na gut.«
Struan dachte einen Augenblick nach; dann sagte er leise: »Wie ich gehört habe, ist es bei den Chinesen üblich, Geld gegen sehr hohe Zinsen auszuleihen. Ich möchte darauf vertrauen, daß nichts von unseren Geldern in dieser Weise verwendet wird.« Er blickte Gordon fest in die Augen. Es folgte ein langes Schweigen. »Der Wucher ist ein sehr übles Geschäft.«
»Aber das Ausleihen von Geld ist ein sehr wichtiges Geschäft.«
»Zu vernünftigen Zinsen.«
Gordon spielte mit den Enden des Zopfes. »Ein Prozent unter dem üblichen?«
»Zwei.«
»Eineinhalb wäre sehr, sehr anständig.«
»Also gut. Sehr anständig. Du bist ein tüchtiger Geschäftsmann, Gordon. Vielleicht erhöhe ich im nächsten Jahr den Kredit.«
»Ich werde mich bemühen, Ihre Entscheidung durch glänzende Gewinne zu rechtfertigen.«
»Ich möchte wetten, daß du das tust, Gordon«, sagte Struan. Er sah zum Zelteingang hinaus und war überrascht, als er den Schiffsprofos auf sie zueilen sah.
»Mr. Struan?« Der Schiffsprofos grüßte militärisch. »Mit den besten Empfehlungen Seiner Exzellenz. Er bittet Sie, ihn umgehend auf dem Flaggschiff aufzusuchen.«
Struan blickte auf seine Uhr. Es war noch immer Zeit, aber er antwortete nichts weiter als: »Natürlich.«
18
Longstaff stand mit dem Rücken zur Tür und starrte durch die Fenster der großen Kajüte zum Postschiff hinüber. Struan bemerkte, daß der Eßtisch für vier Personen gedeckt war. Auf dem Schreibtisch lag ein Haufen amtlicher Schreiben. »Guten Tag, Will.«
»Hallo, Dirk.« Longstaff wandte sich um und streckte die Hand aus. Struan fiel es auf, daß er so jung aussah wie seit Monaten nicht. »Das ist doch seltsam, nicht wahr?«
»Was denn?« fragte Struan. Aber er wußte, daß es sich nur um den Russen handeln konnte. Er wollte jedoch Longstaff nicht die Freude verderben, es ihm selbst zu sagen. Außerdem interessierte ihn, wie Longstaff die Lage beurteilte. Denn obwohl dieser in Asien völlig im dunkeln tappte und als Generalbevollmächtigter unbrauchbar für den Handel war, wußte Struan doch, daß er mit seinen Ansichten über die politischen Verhältnisse in Europa immer wieder ins Schwarze traf. Es lohnte sich, ihn anzuhören.
Seitdem Struan das drängendste Problem – nämlich Aristoteles – gelöst und beobachtet hatte, wie Robb ihn sicher an Bord brachte, dachte er über die Gründe für das Auftauchen des Russen nach. Er empfand es als außergewöhnlich beunruhigend, obwohl er keinen vernünftigen Grund dafür anzugeben vermochte.
»Sie werden es noch nicht gehört haben, aber wir haben einen nicht geladenen Gast.«
»Wen denn?«
»Keinen Geringeren als einen russischen Großfürsten, Alexej Sergejew. Er ist mit dem Postschiff eingetroffen.«
Struan war gebührend beeindruckt. »Warum sollte man uns hier in Asien diese ›Ehre‹ antun?«
»Tja, warum?« Longstaff rieb sich fröhlich die Hände. »Er kommt nachher zum Essen her. Clive wird ihn begleiten.«
Clive Monsey war Longstaffs Stellvertreter in seiner Eigenschaft als Generalbevollmächtigter für den Handel. Er war Berufsbeamter und ebenso wie Longstaff aus dem Auswärtigen Dienst hervorgegangen. Für gewöhnlich wurde Monsey durch seine Tätigkeit in Macao festgehalten, wo Longstaff sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte.
»Wir haben auch einige interessante Berichte erhalten«, fuhr Longstaff fort, und Struans Spannung stieg. Es war ihm klar, daß keines dieser Schreiben die offizielle Anerkennung des Vertrages von Tschuenpi und die Ernennung Longstaffs zum ersten Gouverneur der Kolonie Hongkong enthielt, da die Nachricht von der glücklichen Beendigung des Krieges gerade erst nach England gelangt sein konnte.
Struan nahm ein Glas Sherry entgegen. »Der Mittlere Osten?« fragte er und hielt den Atem an.
»Ja. Die Krise ist Gott sei Dank überstanden! Frankreich hat sich mit der vom Außenminister vorgeschlagenen Regelung einverstandenerklärt. So ist die Gefahr eines allgemeinen Krieges gebannt. Der türkische Sultan ist uns für unsere Unterstützung so dankbar, daß er einen Handelsvertrag mit uns unterzeichnet hat, der alle türkischen
Weitere Kostenlose Bücher