Tai-Pan
erzählt, jedoch nicht von Gorth. Er hatte ihr auch gesagt, daß sie in ein paar Tagen die Fieberrinde haben würden. Auch von Mary und der verfluchten Ah Tat hatte er gesprochen.
»So eine verdammte Närrin, sie hätte doch gescheiter sein sollen. Hätte Mary es mir – oder dir – erzählt, wir hätten dafür gesorgt, daß sie das Kind irgendwo gefahrlos und heimlich zur Welt hätte bringen können. In Amerika oder sonstwo. Das Kind wäre adoptiert worden und …«
»Und ihr Glessing-Mann?« fragte sie. »Er sie noch immer heiraten? Sie neun Monate weg?«
»Das ist so und so erledigt!«
»Wer ist Vater?« fragte May-may.
»Sie hat es mir nicht sagen wollen«, antwortete Struan, und May-may lächelte in sich hinein.
»Arme Mary«, fügte er hinzu, »jetzt ist ihr Leben verpfuscht.«
»Unsinn, Tai-Pan. Die Heirat kann doch stattfinden – wenn der Glessing und der Horatio niemals was erfahren.«
»Hast du den Verstand verloren? Natürlich ist das erledigt – was du da sagst, ist völlig unmöglich. Es wäre unehrenhaft, entsetzlich unehrenhaft.«
»Richtig. Aber was niemals gewußt wird, macht nichts, und der Grund für das Heimlichkeitstun ist gut und nicht böse.«
»Wie soll es ihm denn verborgen bleiben, he? Natürlich wird er darauf kommen. Er wird doch bestimmt merken, daß sie keine Jungfrau mehr ist.«
Es gibt Mittel und Wege, Tai-Pan, dachte May-may. Möglichkeiten der Täuschung. Ihr Männer seid in manchem so naiv. Die Frauen sind in den meisten wesentlichen Dingen so viel gescheiter.
Und sie beschloß, jemanden zu Mary zu schicken, um ihr alles Notwendige zu erklären und diesem ganzen Unsinn, diesem Selbstmordgefasel ein Ende zu bereiten. Aber wen? Offensichtlich kam da nur Ältere Schwester in Frage, Tschen Schengs dritte Frau, die früher einmal in einem Freudenhaus gewesen war und der solche Geheimnisse nicht unbekannt waren. Morgen schicke ich sie hin. Sie wird schon wissen, was sie Mary zu sagen hat. Mary ist also kein Anlaß mehr zur Sorge. Mit einigem Joss. Aber was ist mit Culum, Gorth und Tess? Bald auch keine Sorge mehr, denn ein Mord wird stattfinden. Alle Dinge werden dem Joss entsprechend gelöst, warum also sich Sorgen machen? Viel besser, die Dinge hinzunehmen. Ich habe Mitleid mit dir, Tai-Pan. Du denkst so viel, planst so viel und versuchst unaufhörlich, den Joss deinen Wünschen entsprechend zurechtzubiegen – aber ist es wirklich so? fragte sie sich. Im Grunde tut er doch nur das, was ich auch tue, was alle Chinesen tun. Er lacht über das Schicksal, den Joss und die Götter und versucht, Männer und Frauen zur Erreichung seiner Ziele auszunutzen. Und er versucht, den Joss zurechtzubiegen. Das ist gewiß richtig. In so mancher Hinsicht, Tai-Pan, bist du sogar noch chinesischer als ich.
Sie ließ sich noch tiefer unter die süß duftende Daunendecke gleiten und wartete darauf, daß Struan wieder mit ihr redete.
Struan jedoch konzentrierte sich völlig auf das, was er aus den Dokumenten erfahren hatte.
Unter diesen Schriftstücken hatte sich die Übersetzung eines Geheimberichts befunden, der im Juli 1840, also vor einem Jahr, für Zar Nikolaus I. verfaßt worden war und, so unvorstellbar es war, Karten von den Ländern zwischen Rußland und China enthielt. Allein die Karten, die ersten, die Struan jemals gesehen hatte, waren unbezahlbar. Außerdem lag ein Kommentar zu einzelnen Punkten dieses Berichts bei, die besonders wichtig waren.
Verfasser dieses Geheimberichts war Fürst Tergin, Leiter des Geheimen Planungsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten. Darin hieß es: »Es ist unsere feste Überzeugung, daß der Zar in einem halben Jahrhundert von der Ostsee bis zum Stillen Ozean, vom Nordmeer bis zum Indischen Ozean herrschen und in der Lage sein wird, die übrige Welt seinem Willen zu unterwerfen, vorausgesetzt, daß innerhalb der nächsten drei Jahre die nachstehend beschriebene Politik verfolgt wird.
Der Schlüssel zur Weltherrschaft liegt in einer Vereinigung von Asien mit Nordamerika. Nordamerika ist schon fast in unseren Händen. Wenn uns Britannien und die Vereinigten Staaten in dem zu Rußland gehörenden Alaska freie Hand lassen, gehört ganz Nordamerika uns.
Unsere Stellung dort ist sehr sicher, und wir haben mit keinerlei Feindseligkeiten zu rechnen. Die Vereinigten Staaten betrachten unsere territoriale Ausdehnung in diesen Ödlandgebieten des Nordens keinesfalls als Bedrohung. Eine Konsolidierung dieser Stellung von Alaska bis zu unserem
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