Tai-Pan
ihm ja nichts. Und du zertrittst einer Schlange den Kopf. Und damit wird das Maß deiner eigenen Sünden geringer, wenn du einmal vor Gott stehst.
»Es wäre mir eine Ehre, Ihr zweiter Sekundant zu sein, Tai-Pan«, sagte Masterson.
»Dann darf ich Sie vielleicht bitten, mit mir zu kommen, meine Herren.« Struan wischte sich ein paar Blutstropfen vom Kinn, schleuderte die Peitsche über den Bartisch und ging zur Tür.
»Bist schon ein Toter!« brüllte Gorth hinter ihm her. Er hatte seine Zuversicht zurückgewonnen. »Beeil dich, du Schweinehund, du Drecksack!«
Struan blieb erst stehen, als sie die praia erreicht hatten. »Als Waffe wähle ich das Kampfeisen.«
»Guter Gott, Tai-Pan, das ist … das ist nicht üblich«, rief Horatio. »Er ist sehr stark, und Sie haben … Sie sind … die letzte Woche hat Ihnen mehr zugesetzt, als Sie selber wissen.«
»Ganz meine Meinung«, erklärte auch Masterson. »Eine Kugel zwischen die Augen wäre klüger, Tai-Pan.«
»Gehen Sie zum Klub zurück und sagen Sie's ihm. Mein Entschluß steht fest!«
»Wo … wollen Sie … das muß doch wohl geheimgehalten werden, meinen Sie nicht? Die Portugiesen würden vielleicht versuchen, die Sache zu verhindern.«
»Ja. Mieten Sie eine Dschunke. Sie beide, ich, Gorth und seine Sekundanten brechen bei Sonnenaufgang auf. Ich will, daß Zeugen dabei sind und daß das Duell fair ausgetragen wird. Auf dem Deck einer Dschunke ist mehr als ausreichend Platz.«
Ich werde dich nicht umbringen, Gorth, gelobte sich Struan, während Triumphgefühl in ihm hochstieg. O nein, das wäre viel zuwenig. Aber von morgen ab wirst du nicht mehr gehen können, wirst nie wieder allein essen, nie mehr sehen, niemals mehr mit einer Frau schlafen. Ich werde dir zeigen, was Rache ist.
Ein paar Stunden später ging die Nachricht von dem Duell bereits von Mund zu Mund. Viele gaben Gorth alle Chancen: Er stand in voller Manneskraft und hatte immerhin allen Grund, den Tai-Pan herauszufordern, wenn das Gerücht zutraf, Culum habe sich die Seuche zugezogen und der Tai-Pan habe in voller Kenntnis dieses Umstandes Tess und Culum mit einem Kapitän, der sie außerhalb der Dreimeilenzone trauen durfte, auf hohe See geschickt.
Wer auf den Tai-Pan setzte, tat es nur in der Hoffnung, er würde siegen, nicht deshalb, weil er an ihn glaubte. Alle wußten von seiner tiefen Sorge um seine legendäre Geliebte, die im Sterben lag, und von seiner verzweifelten Suche nach Cinchona. Und alle sahen es ihm an, wie sehr ihm diese Sorge zugesetzt hatte. Nur Lo Tschum, Tschen Scheng, Ah Sam und Yin-hsi liehen sich Geld, soviel sie bekommen konnten, setzten voller Vertrauen auf den Tai-Pan und baten die Götter, ihnen ihre Gnade zu erhalten. Ohne den Tai-Pan waren sie ohnehin verloren.
Niemand hatte May-may gegenüber das Duell erwähnt. Struan verließ sie schon früh und kehrte in sein Haus zurück. Er wollte lange und gut schlafen. Das Duell beunruhigte ihn nicht; er war fest davon überzeugt, mit Gorth fertig zu werden. Nur wollte er auf jeden Fall vermeiden, daß er verstümmelt wurde. Dazu mußte er sehr stark und sehr schnell sein. Ruhig ging er in der Wärme dieser Nacht, die auch wieder schön und von Sternen erhellt war, durch die stillen Straßen.
Lo Tschum öffnete die Tür. »Guten Abend, Maste'.« Er deutete auf das Vorzimmer. Dort saß Liza Brock und wartete.
»Guten Abend«, sagte Struan.
»Hat Culum die Seuche?« stieß sie hervor.
»Selbstverständlich nicht! Mein Gott, wir wissen noch nicht einmal, ob sie überhaupt geheiratet haben. Vielleicht wollten sie nur einmal für sich allein eine kleine Reise machen.«
»Aber er ist doch in einem Bordell gewesen – wer weiß wo? In der Nacht, in der er überfallen wurde.«
»Culum ist nicht krank, Liza.«
»Warum sagen es dann die anderen?«
»Fragen Sie doch Gorth.«
»Das hab' ich doch. Er hat gesagt, ihm hätte man es so erzählt.«
»Und ich wiederhole Ihnen, Liza: Culum ist nicht krank.«
Lizas breite Schultern wurden von Schluchzen erschüttert. »Ach mein Gott, was haben wir getan?« Sie wünschte nur, sie könnte das Duell verhindern. Sie mochte Gorth, obwohl er nicht ihr eigenes Kind war. Auch sie trug Schuld daran, wenn nun Blut fließen mußte – gleichgültig, ob es das Blut von Gorth, dem Tai-Pan, von Culum oder ihrem Mann war. Hätte sie nicht Tyler damals gezwungen, Tess zum Ball gehen zu lassen, wäre dies alles vielleicht niemals geschehen.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Liza«, sagte Struan
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