Tai-Pan
möglichen Sachen vollgestellt hatte, war klein. Sie besaß einen offenen Herd und ein Holzkohlenbecken; Töpfe, Pfannen und Teekessel standen umher, Hunderte von Bündeln getrockneter Kräuter, Pilze, Gemüse, Gedärme und Würste hingen an den verräucherten Wänden. Überall auf dem schmutzigen Boden lagen aus Schilf geflochtene Säcke mit Reis.
Zwei verschlafene Koch-Amahs saßen halb aufgerichtet auf unordentlichen Bettstellen und starrten Struan benommen an. Aber als er einen Haufen von Töpfen und schmutzigen Tellern vom Tisch fegte, um Platz zu machen, sprangen sie aus ihren Betten und flohen aus dem Haus.
»Tee, Maste'?« fragte Ah Sam verwirrt.
Struan schüttelte den Kopf. Er nahm dem noch immer erregten Mönch den schweißgetränkten Beutel ab und öffnete ihn. Die Rinde war braun, sah genauso aus wie andere Rinde auch und war in kleine Krümel zerfallen. Er roch an ihr, aber sie war geruchlos. »Was jetzt?«
»Wir brauchen etwas, worin wir das Getränk kochen können.« Pater Sebastian ergriff einen verhältnismäßig sauberen Topf.
»Würden Sie bitte zuerst Ihre Hände waschen?« Struan deutete auf einen kleinen Kübel und die Seife, die daneben lag.
»Bitte?«
»Waschen Sie sich erst die Hände. Bitte.« Struan schöpfte Wasser in den Kübel und hielt ihm die Seife hin. »Sie werden nichts tun, ehe Sie sich die Hände gewaschen haben.«
»Wozu ist das denn nötig?«
»Weiß ich nicht. Ein alter chinesischer Aberglaube. Bitte, halten Sie uns nicht auf, Pater. Bitte.«
Während Struan den Topf auswusch und ihn auf den Tisch stellte, beobachtete Ah Sam mit glänzenden Augen, wie sich Pater Sebastian die Hände mit Seife wusch, sie abspülte und an einem sauberen Handtuch trocknete.
Dann schloß er die Augen, faltete die Hände und sprach flüsternd ein Gebet. »Jetzt ein Gefäß, mit dem ich abmessen kann«, sagte er, nachdem er sein Gebet beendet hatte. Er suchte sich aufs Geratewohl eine kleine Tasse, füllte sie bis zum Rand mit Cinchona, schüttete die Rinde in den Topf und fügte langsam und methodisch zehn randvolle Tassen mit Wasser nach. Dann stellte er den Topf zum Kochen auf das Holzkohlenbecken. »Versuchen wir es zu Anfang mit einem Verhältnis zehn zu eins«, sagte er mit brüchiger Stimme. Nervös wischte er sich die Hände an der Kutte ab. »Und jetzt möchte ich die Patientin sehen.«
Struan machte Ah Sam ein Zeichen und deutete auf den Topf. »Nicht anrühren!«
»Nicht anrühren, Maste'!« antwortete Ah Sam eifrig. Nun, nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hatte, begannen alle diese seltsamen Vorbereitungen ihr Spaß zu machen. »Nicht anrühren. Maste', keine Sorge!«
Struan und der Mönch verließen die Küche und gingen in May-mays Schlafzimmer. Ah Sam folgte ihnen.
Eine Laterne erhellte die Dunkelheit nur spärlich. Yin-hsi bürstete sich vor einem Spiegel das zerzauste Haar. Sie hielt inne und verneigte sich hastig. Ihre Matratze lag neben May-mays großem Himmelbett auf dem Boden.
May-may fror trotz der Last der Decken.
»Da sind wir, meine Kleine. Wir haben die Cinchona«, sagte Struan und trat dicht zu ihr. »Endlich. Jetzt wird alles gut!«
»Mir so kalt, Tai-Pan«, antwortete sie hilflos. »Mir so kalt. Was hast du gemacht mit Gesicht?«
»Nichts, meine Kleine.«
»Du dich geschnitten.« Sie erschauerte, schloß die Augen und sank in die Kälte zurück, die auf sie eindrang. »So kalt sein.«
Struan wandte sich um und sah Pater Sebastian an. Er bemerkte das Erschrecken in seinem hageren Gesicht. »Was ist?«
»Nichts. Nichts.« Der Mönch stellte eine kleine Sanduhr auf den Tisch, kniete neben dem Bett nieder, ergriff May-mays Handgelenk und begann ihre Pulsschläge zu zählen. Wie kommt es, daß eine Chinesin englisch spricht? fragte er sich. Ist das andere Mädchen die zweite Geliebte? Bin ich in einem Harem des Teufels? O Herr, beschütze mich und verleih mir Deine Kraft des Heilens und laß mich in dieser Nacht Dein Werkzeug sein.
May-mays Puls war so langsam und schwach, daß er große Mühe hatte, ihn überhaupt zu finden. Mit großer Sanftheit zwang er sie, ihn anzusehen, und blickte ihr in die Augen. »Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte er. »Es gibt nichts, wovor Sie Angst haben müßten. Sie sind in Gottes Hand. Ich muß Ihnen in die Augen blicken. Sie sind in Seinen Händen, haben Sie keine Angst.«
Wehrlos und wie erstarrt folgte May-may seiner Aufforderung. Yin-hsi und Ah Sam standen im Hintergrund und sahen verängstigt
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