Taken
stößt Harvey und mich in ein Auto, das uns in die Stadt fährt, zu demselben Platz, auf dem Emma und ich die Hinrichtung des Wasserdiebs miterlebt haben. Hier herrscht dichtes Treiben, Stadtbewohner und Ordensmitglieder laufen durcheinander. Frank steht auf der Bühne und beruhigt die Menge. Er spricht in ein schmales Gerät, das seine Stimme verstärkt, sodass sie auf dem ganzen Platz zu hören ist.
»Dies ist Harvey Maldoon«, erklärt Frank. Die Wand hinter ihm leuchtet auf und zeigt die Fahndungsplakate mit Harveys Bild, während die Wachen ihn selbst auf die Plattform zerren. Sie binden ihn an einen hölzernen Pfahl. Er wehrt sich nicht, sondern macht sogar freiwillig mit und hält seine Arme so, dass die Ordensmänner ihn leichter fesseln können.
»Dieser Mann ist uns nicht unbekannt«, fährt Frank fort. »Wir haben sein Gesicht überall in der Stadt gesehen, aber ich finde, es lohnt sich, die Verbrechen, die er begangen hat, erneut aufzuzählen. Dies ist ein Mann, der nicht den Wunsch hegt, nach gerechten, fairen Gesetzen zu leben. Er ist eine Schlange und ein Feigling, ein Mörder und Verräter, eine schmutzige Krankheit, von der Taem heute Abend geheilt werden wird. Harvey hat Informationen und Wissen an AmWest verkauft und uns alle damit verraten. Er hat ohne jeden Zweifel bewiesen, dass er jedem Einzelnen von uns den Tod wünscht, und daher wird dieser Mann heute Abend sterben!«
Die Zuschauer brechen in Jubel aus, recken die Arme über die Köpfe und fordern die Hinrichtung. Frank redet weiter und stachelt sie zu fanatischer Raserei auf, aber ich höre nicht zu. Wo steckt Bree? Im Flüsterton rufe ich sie über mein Mikrofon, doch sie antwortet nicht. Ich sehe mich um, aber wir sind umzingelt und sitzen in der Falle. Überall ragen die Türme der Stadt drohend um uns auf, und die Menge wogt um die Bühne wie ein wütend tobendes Meer.
»Blaine Weathersby hat Mr. Maldoon zu uns zurückgebracht«, spricht Frank weiter. Mit einem Mal bin ich auf der Wand hinter Frank zu sehen und mein Bild steht nicht fest, sondern bewegt sich. Mein Spiegelbild blinzelt, wenn ich blinzle, und bewegt sich gleichzeitig mit mir. Das muss ein Video sein. »Blaine hat Aufrichtigkeit und Treue für Taem bewiesen. Er hat gezeigt, dass er Gesetz und Ordnung achtet, und Harvey in unsere Stadt zurückgebracht. Und jetzt wird Blaine vor euch allen diese Bedrohung für immer auslöschen.«
Die Menge bricht in Jubelschreie aus. Ich mustere die zornigen Gesichter und suche nach Emma, aber sie ist nirgendwo zu sehen. Ich hätte sie nicht zurücklassen sollen. Ein Wachposten führt mich auf die Bühne und bringt mich gegenüber von Harvey in Stellung. An der Wand ist alles zu sehen. Harvey und ich füllen jetzt den gesamten Bildschirm aus. Der Wachmann reicht mir ein Gewehr, und Frank legt lächelnd einen Finger an die Lippen.
In der einbrechenden Dämmerung fühlt die Waffe sich schwer an. Ich könnte Frank töten. Das ist meine Chance, falls ich sie will. Er steht direkt vor mir, aber was würde anschließend geschehen? Bestimmt würde der Orden mich erschießen, oder die Menge würde mich zu Tode trampeln, und dann würde der Impfstoff nie zu den Rebellen gelangen. Frank wäre tot, aber wäre es sein Laicos-Projekt auch? Oder würde Marco in Franks Fußstapfen treten? Würde er weiterhin junge Leute rauben, um Duplikate von ihnen herzustellen? Das Virus nach Mount Martyr einschleusen? Würde es überhaupt etwas ändern, wenn ich Frank jetzt töte?
Ich sehe das Gewehr und dann wieder Harvey an.
Tu nichts Unüberlegtes, wenn es so weit ist.
Das waren seine Worte, und vielleicht hat er recht, und dies ist wirklich der einzige Weg. Harvey opfert sich für die Allgemeinheit, für das Überleben der Rebellen und die Hoffnung, dass die Rebellion weitergehen kann, nachdem sie den Impfstoff erhalten haben. Heute Abend können wir Frank nicht besiegen. Dieser Kampf liegt vor uns, aber in einer ganz anderen Zukunft.
Als ich mich bereit für die Tat mache, vor der ich immer noch zurückschrecke, sehe ich in meinem Augenwinkel etwas aufblitzen, eine Bewegung auf einem nahegelegenen Dach. Ich blicke auf, und da ist sie, Bree, sie hockt mit dem Gewehr in der Hand hinter dem Kamin eines benachbarten Hauses. Sie verschwimmt beinahe mit dem dunklen Stein, wozu ihr gefärbtes Haar noch beiträgt. Ich kann es nicht richtig erkennen, aber ich habe den Eindruck, dass sie nickt und mich anspornt. Auf diesen Weg haben sie und Harvey sich hinter
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