Tal der Traeume
eine Herausforderung für einen jungen Mann dar, doch William war stets ein resoluter Mensch gewesen, der sich nun mit der Hilfe und Unterstützung seiner geliebten Frau und Pop Oatleys an die Arbeit machte. In wenigen Jahren erwarb er sich einen Ruf als fähiger Viehzüchter und wurde in die Elite der nördlichen Großgrundbesitzer aufgenommen, deren Anwesen größer waren als manche englische Grafschaft. Myles wurde auf Millford geboren, danach kam eine Tochter namens Constance. William schüttelte traurig den Kopf, als er ein kleines Mädchen mit ausladendem Hut sah, das mit seiner Mutter die Straße entlangging. Ungefähr so alt war Constance gewesen, als sie an Keuchhusten starb. Nur einen Monat später war Zack Hamiltons Sohn Simon der gleichen Krankheit zum Opfer gefallen. Emily May hatte sich tapfer gehalten, sich, wie sie sagte, in Gottes Willen gefügt, doch Sibell Hamilton hatte der Tod ihres Sohnes zutiefst getroffen, obwohl sie immerhin ihre Tochter Lucy hatte behalten dürfen. Manche behaupteten, Sibell sei nie über den Verlust des Jungen hinweggekommen, doch diese Leute vergaßen, welche Schicksalsschläge Sibell bereits zuvor erlitten hatte. Ihre Eltern waren auf See umgekommen, und sie hatte sich als junges Mädchen nach dem Schiffbruch allein an Land gekämpft.
Williams Sekretär kam aus dem hinteren Büro herein. »Wäre das alles für heute?« »Ja, Leo. Du kannst Feierabend machen. Wenn du Myles siehst, richte ihm bitte aus, dass ich auf ihn warte. Ich muss wissen, ob Mr. Chen heute aus Singapur eintrifft.« »Hätte selbst gehen sollen«, murmelte er, als Leo verschwunden war. Mr. Chen war ein reicher chinesischer Finanzier, der einen angemessenen Empfang mit Begleitung zum Hotel Victoria, dem einzigen anständigen Hotel der Stadt, erwartete.
Myles hätte ihm längst bestätigen sollen, dass der Chinese untergebracht sei und zum Abendessen kommen werde. Sie hatten viel zu besprechen. William entschied, noch ein wenig zu warten, bevor er eigene Erkundigungen im Hotel einzog. Er nahm eine Flasche aus dem Schrank hinter seinem Schreibtisch und goss sich einen exzellenten schottischen Whisky ein. Dann versank er wieder in seinen Erinnerungen.
Myles hatte keine seiner Großmütter wirklich kennen gelernt. Großmutter Oatley war an Krebs gestorben, als er drei war. Auch Pop Oatley hatte sich in sein Schicksal gefügt, und sein Sohn hatte schweigend und mit gebrochenem Herzen getrauert, um den Vater nicht zu belasten. Als jedoch seine geliebte Emily May starb, sah es anders aus. Myles war fünfzehn gewesen und hatte zwanzig Meilen von der Station entfernt Vieh mit ihm gemustert, als ein Viehhüter in gestrecktem Galopp geritten kam und ihnen mitteilte, die Missus sei von einer Schlange gebissen worden. »Von was für einer Schlange?«, brüllte er, als er sein Pferd herumriss und Myles zurief, mit ihm zu kommen. »Tigerotter, glaube ich, die schwarzen Mädchen sagen, es wäre eine gewesen, sie ist wirklich gefährlich…« »Die wissen nicht, was sie da reden«, rief er Myles zu. »Tigerotter, so nennen sie alles, was hier herumkriecht. Haben das Wort irgendwo aufgeschnappt. Ich habe noch nie im Leben eine Tigerotter gesehen. Mag sein, dass sie nicht giftig ist, aber wir müssen heim reiten.«
Vater und Sohn legten den längsten Ritt ihres Lebens zurück, schossen über den niedrigen Zaun des Gemüsegartens, sprangen vom Pferd und warfen die Zügel beiseite. Als William die Stufen zur Hinterveranda hinauf eilte, sah er die tote Schlange, die jemand über das Geländer gehängt hatte. Er hielt entsetzt inne. »Eine Mulgaschlange«, flüsterte er, »Gott steh ihr bei. Gott steh ihr bei!« Doch Gott stand Emily May nicht bei. Er ließ zu, dass die liebreizende Frau unter Qualen aufquoll, bevor sie ins Koma sank und irgendwann starb, ohne seine Stimme zu hören, seinen Trost, seine Liebe zu spüren, ohne Abschied nehmen zu können. Selbst jetzt klang sein Seufzer wie ein Schluchzen. Er war am Boden zerstört gewesen. Verwirrt. Seltsam, aber von allen, die ihn damals umsorgt hatten, ihn trösten wollten, erinnerte er sich nur an Sibell Hamilton. Sie war da gewesen, wohl gemeinsam mit Zack, und er wusste noch, wie sich seine Qual in ihrem Gesicht widergespiegelt hatte. Ob sie mit ihm gesprochen hatte, konnte er nicht mehr sagen. Nach dem Tod seiner Frau verlor er zeitweilig die Kontrolle über sich. Er trank zu viel, vernachlässigte seine Arbeit, verkroch sich im Haus und vergrub sich in einer Trauer,
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