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Talitha Running Horse

Talitha Running Horse

Titel: Talitha Running Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Nacht dabehalten. Wahrscheinlich hat er eine leichte Gehirnerschütterung. Tom ist schon vor einer ganzen Weile hingefahren, um Neil zu besuchen. Ich hoffe, dass er ihn mit nach Hause bringt.«
    Â»Hat er gesagt, wer es war?«, fragte mein Vater.
    Della schüttelte den Kopf. »Er kannte die Jungs nicht. Jedenfalls behauptet er das.«
    Â»Hat er eine Ahnung, warum sie es getan haben?«
    Â»Darüber spricht er nicht«, sagte Della. »Ich habe solche Angst, dass es wieder passiert und er dann nicht noch mal so glimpflich davonkommt.«
    Ich war mir sicher, dass Neil die Jungs kannte oder zumindest wusste, zu welcher Familie sie gehörten. Dafür, dass er sie deckte, musste es einen Grund geben.
    Dad fragte Della über Marlin aus, aber sie wusste kaum etwas über meinen Cousin. Genauso wenig wie über meine Tante, obwohl sie die einzigen Nachbarn waren.
    Wenig später hielt ein Auto vor dem Haus, und alle wandten den Kopf zur Tür, weil wir hörten, wie Tom Thunderhawk mit jemandem sprach. Neil trat als Erster in den Raum, und ich musste schlucken, als ich sein Gesicht sah. Überall Blutergüsse. Sein rechtes Auge war fast vollkommen zugeschwollen. Auf der Nase hatte er ein dickes weißes Pflaster und eins auf der linken Wange. Seine Lippen waren aufgeplatzt.
    Neil trug ein blütenweißes T-Shirt, was mir in diesem Moment merkwürdig vorkam, weil es überhaupt nicht zu seinem zerschlagenen Gesicht passte. Aber dann wurde mir klar, dass sein Vater es ihm mitgebracht haben musste. Das T-Shirt, das Neil getragen hatte, als er so übel zugerichtet worden war, würde bestimmt nie mehr so weiß werden wie dieses.
    Wir sahen ihn alle mitleidig an, auch seine beiden Schwestern. Doch ich ahnte, dass Mitleid das Letzte war, was er wollte. Neil grüßte seine Mutter mit einem kurzen Blick und humpelte wortlos an uns vorbei in sein Zimmer.
    Tom zuckte entschuldigend die Achseln. »Nehmt es ihm nicht übel, aber es geht ihm nicht so gut. Er hat Schmerzen, und es ist ihm sicher unangenehm, dass ihr ihn so seht.«
    Â»Hat mein Neffe Marlin was damit zu tun?«, fragte Dad jetzt ganz direkt.
    Â»Schon möglich«, erwiderte Tom. »Aber genau wissen wir es nicht. Neil schweigt sich aus. Er sagt, er kannte die vier nicht.«
    Mein Vater schüttelte traurig den Kopf. »Es kann nicht sein, dass Halbwüchsige übereinander herfallen für etwas, das ihre Ururgroßväter getan haben.«
    Nun blickten Tom und Della und sogar Adena meinen Vater fragend an.
    Â»Ging es darum, als Marlin und Neil sich auf dem Powwow-Grund geprügelt haben?«, wollte Tom wissen.
    Â»Ja. Neil hat Tally verteidigt, weil Marlin sie als Halbblut beschimpfte. Da hat Marlin ihn Blanket Indian und Hang Around the Forts genannt.«
    Â»Wo kommt nur all der Hass her?«, fragte Della. »Wie kann man sich über Dinge in die Haare kriegen, die über hundert Jahre zurückliegen? Wie soll im Reservat jemals etwas besser werden, wenn wir selbst uns nicht einig sind? Was ist aus all dem geworden, was unseren Vorfahren einmal wichtig war?«
    Â»Ich will meinen Neffen nicht verteidigen«, sagte Dad. »Aber Marlin ist wahrscheinlich furchtbar verunsichert. Nach dem Tod seines Vaters hat er den Halt verloren, genauso wie seine Mutter. Meine Schwägerin hat sich von unserem Glauben abgewandt und geht jetzt regelmäßig in die Kirche. Früher, da hat sie wunderschöne Perlenarbeiten gemacht, jetzt sitzt sie nur noch vor dem Fernseher. Marlin steht zwischen den Stühlen. Die Achtung vor unserem Glauben hat er verloren, weil seine Mutter sich darüber lustig macht, und mit Jesus Christus kann er nichts anfangen. Er hat Angst davor, verletzt zu werden. Deshalb verletzt er andere, in der Hoffnung, auf diese Weise verschont zu bleiben.«
    Während Neils Eltern mit meinem Vater diskutierten und Adena ihnen lauschte, ging ich auf die Toilette und schlich mich von dort zu Neils Zimmer. Ich klopfte leise und sagte: »Ich bin’s, Tally. Darf ich reinkommen?«
    Er antwortete nicht, aber nach einer Weile hörte ich den Riegel zurückschnappen. Ich drehte am Knauf und betrat Neils Zimmer. Er stand direkt vor mir. Ich zuckte zusammen: vor seinem ablehnenden Blick und seinem Gesicht, das jetzt noch furchtbarer aussah, weil er die Pflaster entfernt hatte.
    Â»Was willst du?«, fragte er unwirsch.
    Â»Nur fragen, wie es dir geht«, antwortete ich

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