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Talitha Running Horse

Talitha Running Horse

Titel: Talitha Running Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Trailer, dass ich ein Halbblut war und eine Mutter hatte, für die ich nicht existierte. Wenn wir eine komplette Familie wären und ein richtiges Haus hätten, dachte ich, dann wäre alles besser. Wenn Stormy mir gehören würde, wenn ich keine Locken hätte und wenn Neil mich lieben würde, dann wäre ich glücklich.
    Obwohl ich hundemüde war, hatte ich eine schlaflose Nacht. Schwer zu sagen, ob es daran lag, dass Adena mir grollte, oder ob die Angst um Neil und der Gedanke an sein zerschundenes Gesicht mich wach hielten.
    Meine vielen unerfüllbaren Wünsche kamen mir in den Sinn, und ich musste an Großvater Emmet denken. Wenn ich zu ihm gekommen war, um mich über irgendetwas zu beklagen, das nicht so war, wie ich es gerne hätte, dann hatte er immer gesagt: »Würdige, was dir das Leben gegeben hat, Tally.«
    Ich wusste, dass er Recht hatte. Dass ich undankbar war.
    Am nächsten Vormittag, gleich nach dem Frühstück, lief ich hinauf zu Adena, um ihr zu sagen, dass es mir Leid tat.
    Â»Schon gut«, brummelte sie. »Mach aus einer Mücke keinen Elefanten!«
    Sie wickelte ihren Zopf um den Zeigefinger und lächelte. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass sie noch nicht völlig bereit war, mir zu verzeihen. Sie erwartete mehr von mir als eine bloße Entschuldigung. Ich sollte ihre Neugier befriedigen.
    Â»Du bist gestern bei Neil gewesen?« Ihre Frage klang beinahe vorwurfsvoll.
    Â»Ja«, erwiderte ich schlicht.
    Â»Hat er dir gesagt, wer ihn so zugerichtet hat?«
    Â»Nein. Er sagt, er kennt sie nicht.«
    Â»Dann hat er dich also auch angelogen«, behauptete Adena und mir schien, als würde eine Art Genugtuung in ihrer Stimme mitschwingen.
    Ich zuckte die Achseln. »Wenn er was sagt, dann kriegen die vier eine Verwarnung, das ist alles. Und sie würden es ihm heimzahlen, da bin ich mir sicher. Du weißt doch, wie das läuft. Wahrscheinlich ist Marlin in einer Gang und mit solchen Leuten ist nicht zu spaßen.«
    Â»Ja, vielleicht hast du Recht.«
    Â»Laufen wir ein Stück?«, fragte ich. Es war ein Friedensangebot und für Adena die Möglichkeit, mir noch dies und das aus der Nase zu ziehen, wenn sie nur lange genug fragte.
    Aber sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich muss meiner Mutter beim Kochen helfen. Wir bekommen Besuch.«
    Â»Na dann bis morgen«, sagte ich und umarmte sie kurz.
    Â»Tóksâ, Tally.« Adena sah mir lange nach.
    Ich lief auf den Berg, legte mich ins Gras und überließ mich meinen Gedanken. Die Wolken über mir formten und verschoben sich. Aus einem fetten Schwein wurde langsam ein schnaubender Büffel, der sich dann irgendwann in eine Herde weißer Lämmer auflöste.
    Als mein Großvater noch lebte, saßen wir oft zusammen auf den Stufen vor dem Trailer und sahen den Wolken zu. Einmal sagte er zu mir, dass die Wolken die Tage unseres Lebens sind.
    Â»Die dunklen sind schwer und angefüllt mit unserem Kummer, Tally. Die roten Wolken am Abend und am Morgen sind getränkt vom Blut unseres Volkes. Und die weißen Wolken, die durchscheinend und leicht dahinschweben, sind die Tage, die wir noch nicht gelebt haben.«
    Mein Großvater Emmet war noch nicht alt, als er starb. Aber er hatte viel Trauriges gesehen und erfahren in seinem Leben. Er wusste eine Menge und hat einiges davon an mich weitergegeben. Nicht alles, das weiß ich. Dafür hat die Zeit nicht gereicht, die wir miteinander hatten. Er hat wohl auch gedacht, dass ich noch zu jung bin, um manche Dinge zu erfahren. Diese Aufgabe hatte er meinem Dad überlassen.
    Ich war gerade erst vierzehn geworden, doch es kam es mir so vor, als wäre ich schon viel älter. Dad hatte mal gesagt, dass es Tage gibt, die das Leben eines Menschen für immer verändern. Tage, die sich in seine Seele graben wie schwere Schaufelbagger und tiefe Narben hinterlassen. Langsam begriff ich, was er damit meinte.
    Drei Wochen später sah ich Neil zum ersten Mal wieder. Seine Wunden waren verheilt, sein Gesicht hatte die ursprüngliche Form und Farbe zurück. Nur die Narbe auf der linken Wange war geblieben und würde ihn immer an seinen Schmerz und die Demütigung erinnern, wenn er in den Spiegel sah.
    Â»Wie geht es dir?«, fragte ich ihn. Er war dabei, einen Sattel mit Nerzöl einzureiben, und hob nur einmal kurz den Kopf, um mich anzusehen.
    Â»Ich bin okay«, antwortete Neil. »Und

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