Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Talitha Running Horse

Talitha Running Horse

Titel: Talitha Running Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
Vom Netzwerk:
geknickt.
    Â»Wie du siehst, lebe ich noch«, sagte er. Neil drehte sich um und schlurfte zu seinem Bett. Er setzte sich und schob sich so weit nach hinten, bis er sich gegen die Wand lehnen konnte.
    Ich schloss die Tür hinter mir und sah mich um. Neils Zimmer war kleiner als meins, aber mit schönen neuen Holzmöbeln eingerichtet. Ein helles Bett, ein Bücherregal, ein Schreibtisch, zwei Stühle. Über seinem Bett hing ein ganz schlichter Traumfänger, der sehr alt zu sein schien.
    Â»War es Marlin?«, fragte ich.
    Neil holte tief Luft. »Und wenn. Es ist meine Sache, nicht deine.«
    Â»Er ist mein Cousin«, erwiderte ich.
    Â»Er war’s nicht«, brummte Neil. »Geht’s dir jetzt besser?« Das Sprechen fiel ihm sichtlich schwer, weil er durch die geschwollene Nase keine Luft bekam. Seine Unterlippe war vom Sprechen wieder aufgeplatzt und blutete. Er leckte mit der Zunge darüber.
    Â»Nein. Ich glaube, es waren Marlins Freunde, und du weißt es. Warum sagst du nicht, wer sie sind?«
    Â»Weil ich sie nicht kenne. Und nun verschwinde, Tally. Ich hab Kopfschmerzen.«
    Seine Stimme klang schroff, doch ich hörte das Zittern, das darin mitschwang. Statt zu gehorchen, setzte ich mich auf die Bettkante und betrachtete sein zerschlagenes Gesicht. Der Nasenrücken war vermutlich gebrochen und dick angeschwollen. Eine Platzwunde auf der linken Wange hatte mit sechs Stichen genäht werden müssen. Aus einem halb offenen und einem unversehrten Auge blickte Neil mich an, blass vor Schmerz. Er schwieg beharrlich, doch in seinem Blick lag alles, was er nicht sagte. In diesem Moment konnte ich in ihn hineinschauen und sein Innerstes erkennen. Neil Thunderhawk hatte Angst. Aber das hätte er niemals zugegeben.
    Â»Verschwinde!«, sagte er noch einmal. »Lass mich einfach in Ruhe!« Ich wollte schon aufstehen und gehen, als ich plötzlich sah, dass er weinte. Ich suchte nach einem Taschentuch und reichte es ihm. Er nahm es und presste es an seine blutende Lippe.
    Â»Tut es sehr weh?«, fragte ich.
    Statt einer Antwort lehnte er den Kopf zurück und schloss die Augen, das Taschentuch immer noch auf die Unterlippe gepresst.
    Ich rutschte zur Wand, bis ich neben ihm saß. Neil ließ es geschehen. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter, lauschte seinem stoßweisen Atem. Und auf einmal wusste ich, wie weh es tat.
    Als ich nach einer Weile Stimmen im Flur hörte, stand ich auf und ging zur Tür. Kein anderer sollte Neil weinen sehen. Ich griff gerade nach dem Türknauf, als ich ihn leise meinen Namen sagen hörte.
    Ich drehte mich zu ihm um, und er verzog sein Gesicht zu einem schiefen Grinsen. »Alles Gute zum Geburtstag, Tally.«

11. Kapitel
    Wir statteten Stormy noch einen kurzen Besuch ab und fuhren wieder nach Porcupine zurück. Adena konnte nicht begreifen, dass ich allein sein wollte.
    Gekränkt zuckte sie die Achseln. »Wenn du reden willst, du weißt ja, wo ich wohne.« Sie wandte sich um und zog beleidigt davon.
    Schlimmen Streit hatte es nie gegeben zwischen uns, Unstimmigkeiten regelten wir meistens noch am selben Tag. Einfach, weil wir wussten, dass wir beide nicht schlafen konnten, wenn es etwas gab, das zwischen uns stand. In den sechs Jahren, die wir uns jetzt kannten, war das immer so gewesen.
    Doch diesmal hatte meine Freundin kein Verständnis für mein Verhalten. Adena hatte gesehen, dass ich aus Neils Zimmer gekommen war, und natürlich brannte sie darauf, zu erfahren, was wir geredet hatten. Ich wollte es aber für mich behalten.
    Merkwürdig. Bisher hatte ich Adena immer alles erzählt. Auch Dinge, die peinlich waren oder die ihr die Möglichkeit gaben, mich zu verletzen. Sie hat es nie getan, nie hatte sie meine Offenheit missbraucht. Wir vertrauten einander. Aber nun merkte ich auf einmal, dass es Dinge gab, die so tief waren, so persönlich, dass ich sie auch meiner besten Freundin nicht erzählen wollte. In diesem Augenblick überkam mich ein Gefühl großer Einsamkeit.
    Ich ging ins Haus und verschwand in meinem Zimmer. Endlich allein, ergab ich mich den Schuldgefühlen, die an mir nagten. Neil war verprügelt worden, und ich fühlte mich verantwortlich dafür. Genau so, wie ich mich für Stormys Unfall verantwortlich gefühlt hatte.
    Warum konnten die Dinge nie so sein, wie ich sie mir vorstellte? Ich haderte mit allem, was mein Leben bestimmte. Das Reservat, der alte

Weitere Kostenlose Bücher