Talitha Running Horse
von uns verlieÃen an diesem Tag bedrückt das Schulgebäude. Und jeder musterte den anderen voller Misstrauen.
Am Abend berichtete ich meinem Vater, was Officer Stortbull uns erzählt hatte. Dad hörte aufmerksam zu, dann nickte er und sagte: »Seit Neil zusammengeschlagen worden ist, hat Tom eine Auge auf Marlin. Er hat immer mal wieder gesehen, wie dein Cousin von seinen äuÃerst zwielichtigen Kumpanen abgeholt worden ist. Tom glaubt, dass Marlin sich so einer Gang angeschlossen hat.«
Ich schluckte beklommen. Genau das hatte ich nämlich auch vermutet. Als wir die letzten Male bei Tante Charlene gewesen waren, hatte ich bei Marlin eine gewisse Veränderung bemerkt. Mein Cousin schien auf einmal viel mehr Wert auf sein ÃuÃeres zu legen. Er hatte eine neue Frisur: Die Seiten seines Schädels waren kahl geschoren, das Haupthaar trug er zu einem kleinen Zopf gebunden. Die Farben seiner Kleidung waren stets Rot und Schwarz. Er trug jetzt Baggy-Jeans, die ihm fast herunterrutschten, und hohe Turnschuhe. Marlin hatte ein paar Kilo abgenommen, sodass seine Augen jetzt wieder gröÃer erschienen, und er war noch herablassender geworden. Das äuÃerte sich darin, dass er mich mehr oder weniger in Ruhe lieÃ, als ob ich es nicht wert wäre, dass man sich überhaupt mit mir abgab. Noch nicht mal, um mich zu piesacken.
Dad erzählte mir, dass er Marlin hin und wieder während der Schulzeit in Pine Ridge vor dem Sioux-Nation-Supermarkt gesehen hatte. »Die Leute hatten Angst vor ihm und gingen ihm aus dem Weg«, sagte er.
Ich konnte mir das sehr gut vorstellen
»Marlin hätte nach dem Tod seines Vaters einen neuen Halt gebraucht«, sagte mein Vater. »Und statt ihn in unseren alten Traditionen und Zeremonien zu suchen, hat er ihn bei den falschen Leuten gefunden. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich mich nicht mehr um ihn gekümmert habe. Wenn es nur nicht so furchtbar schwer wäre, mit seiner Mutter auszukommen. Mit Charlene ist einfach nicht zu reden.«
»Du hast dich doch gekümmert, Dad. Marlin hätte ja auch mal zu uns kommen können, aber er wollte unsere Hilfe überhaupt nicht. Er verachtet uns.«
»Ich glaube, dass er einsam war. Ich werde auf jeden Fall noch mal versuchen, mit Charlene oder mit Marlin zu reden. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät.«
Ich dachte daran, was der Officer noch erzählt hatte. Dass es kein Zurück gab, wenn man erst einmal Mitglied einer Gang geworden war. Wer die Gang verlassen wollte, musste auch das Reservat verlassen und in einen anderen Bundesstaat ziehen.
Nach ein paar Wochen zog endlich der Frühling ins Land und Dad fand Arbeit. Nun war auch wieder Geld für Benzin da, und ich konnte öfter bei den Pferden sein.
Stormy war jetzt ein Jährling und trotz des harten Winters in den letzten Monaten erstaunlich gewachsen. Ihre Brust war breiter geworden und ihr Widerrist nun so hoch wie meine Schultern. Auch ihre Fellfarbe hatte sich verändert. Die Mähne und der Schweif waren dunkler geworden, fast schwarz. Und das Fell an Hals und Kopf war nun dunkelgrau.
Wenn ich Stormy sah, dann kam es mir so vor, als wäre mein Traum in Erfüllung gegangen. Als würde sie mir gehören.
Manchmal konnte ich Stormy eine Weile zusehen, bevor sie mich sah, daher wusste ich einiges über sie. Sie scheuerte sich nicht auf der rechten Seite, wo die wulstige Narbe über ihren Bauch lief, und ich hatte beobachtet, dass sie nervös wurde, wenn sich ihr die anderen Tiere von rechts näherten.
Von den erwachsenen Stuten hatte sie inzwischen gelernt, was sie in der Herde durfte und was sie nicht durfte. Sie wusste nun, dass die Witterung von Kojoten Gefahr bedeutete. Dass das Wasser des kleinen Sees in den Hügeln kühl und köstlich war. Sie hatte gelernt, dass der Boden hart war, wenn man stürzte, und dass das Gras, das dicht am Boden wuchs, besonders gut schmeckte.
Am liebsten spielte Stormy mit den beiden Fohlen, die im Mai zur Welt gekommen waren. Im Spiel maà sie ihre Kräfte mit denen ihrer jüngeren Kameraden, und sie hatte enge Freundschaft geschlossen mit Psitó, der alten Stute. Die beiden beknabberten einander das Fell und tauschten Zärtlichkeiten. Als es wärmer wurde, standen sie oft dicht beieinander und vertrieben sich durch Schweifschlagen gegenseitig die lästigen Fliegen aus dem Gesicht.
Doch nicht nur Stormy, auch Neil war in den
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