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Talivan (German Edition)

Talivan (German Edition)

Titel: Talivan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Tillmanns
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du sie anlocken?“
    Wütend musterte sie die Krähe, die gemächlich näherkam. Dann entschied sie sich, stieg wieder ab, hielt dem Vogel ihren Arm hin und hob ihn, als er hinaufgeklettert war, auf den Sattelknauf.
    „Dummes Viech“, knurrte sie, während sie erneut aufstieg. „Halte dich nur gut fest – ich habe dich nicht gebeten mi t zukommen!“
    Sie ließ das Pferd antraben und bald in Galopp fallen. I r gendwann musste sie in eine Stadt oder zumindest ein Dorf kommen, wo sie sich vielleicht eine Zeitlang ve r stecken konnte. Wäre nicht das Brandmal auf ihrer Stirn, hätte es wahrscheinlich genügt, wenn sie ihre inzwischen verschmutzte Kleidung gewechselt hätte. Und das Pferd, natürlich, gegen diese und andere Dinge, die sie benötigte, ei n getauscht hätte. So jedoch –
    „Du machst es mir nicht gerade leichter“, sagte sie tadelnd zu der Rabenkrähe, als die Stute wieder in einen leichten Trab gefallen war. Der schwarze Vogel, dessen Kopf auf Höhe ihres Kinnes leicht mit den schaukelnden B e wegungen mitging, drehte sich nicht um. Fast schien er b e leidigt, dass sie ihm den vorangegangenen Galopp z u gemutet hatte. Sie musste lächeln bei dem Gedanken an die nahezu hekt i schen Bewegungen der ansonsten scheinbar so faulen Kr ä he, mit denen diese zuvor das Gleichgewicht zu halten ve r sucht hatte.
    „Wohin auch immer wir kommen werden, nicht jeder wird dich von einem Raben unterscheiden können. Mich hattest du ja auch zunächst g e täuscht. Und wer wird schon einer – einer Hexe Unterkunft und Essen gewähren?“ Ihr Magen krampfte sich zusammen, als sie an die vergangenen Mo n de in ihrer Heimatstadt dachte. Um sich abzulenken, sprach sie weiter: „Du siehst also, sobald wir die nächste Siedlung e r reichen, werden sich unsere Wege trennen.“
    Schwankend drehte der Vogel sich um, immer darauf b e dacht, einen Lauf fest in den Sattel zu krallen. Fast hatte sie das Gefühl, in seinen nachtschwarzen Augen etwas wie Verstehen lesen zu können. Immerhin erweckte er als Ei n ziger seit langer Zeit den Anschein, ihr zuzuhören. Ohne dass sie es sich hätte erklären können, wurde sie durch di e ses Gefühl wieder verärgert.
    „Nun sieh mich nicht so an, als wollest du mir nichts Böses! Einmal hast du schon meine Ve r folger auf die richtige Fährte geführt, und du hättest es auch ein zweites Mal ve r sucht, hätte ich dich nicht mitgenommen!“
    Ruhiger fuhr sie fort: „Weshalb wolltest du mich übe r haupt begleiten? Leben Rabenkrähen nicht in Einehe? Hast du deine Partnerin dennoch einfach verlassen?“ Zwar wusste sie nicht von äußerlichen Unterscheidungsmerkmalen, doch hielt sie diese Krähe, ohne darüber nachgedacht zu haben, für ein männliches Tier.
    Obgleich sich weder die Haltung des Vogels noch sein B e nehmen änderte – welch Wunder, konnte er sie doch ebe n so wenig verstehen wie sie ihn –, erkannte sie mit einem Male, wie alt er war. Nur mit Mühe konnte er sich festkra l len; in seinem Gefieder zeigten sich vereinzelte kahle Ste l len und die Schwingen mochten noch dazu nützen, das Gleic h gewicht zu halten, nicht jedoch dazu, ihn hoch in die Luft zu tragen. Nicht Faulheit war der Grund, warum er nicht flog.
    „Sie ist tot, oder?“, fragte die Frau.
    Lange blickte sie starren Blickes in die Ferne, und ein w e nig Wehmut schwang in ihrer Stimme mit, als sie wieder zu sprechen anhub: „Auch ich hatte einst einen Liebsten. Doch hatte zwar er sich für mich entschieden, allein ich mich nicht für ihn. Ich mochte ihn durchaus, jedoch schien mir dies nicht genug. Und wie recht ich hatte, als ich dachte, er empfinde mehr für mein recht einträgliches G e schäft und meinen guten Namen als für mich …“
    Sie atmete tief durch. „Aber diese Geschichte g e hört nicht hierher. Vielleicht erzähle ich sie dir ein andermal.“
    Nein, es hatte keinen Sinn mehr, über diesen Mann und seine Ränke nachzudenken. Zu spät hatte sie begriffen, welches Spiel er mit ihr spielte, und dafür, wie sie fand, mehr als genug bezahlt. Schweigend ritten sie we i ter. Die Frau trieb das Pferd nur selten an; es würde selbst am besten wissen, wie sie schnell vorankamen, ohne dass es übermäßig e r müdete.
    Als die Nacht ihre ersten Vorboten über das Land schickte, suchte sie einen geeigneten Rastplatz. Nahe dem kleinen Bach ließ sie das Pferd grasen, nachdem sie die Rabe n krähe vom Sattel herunte r gehoben hatte. Diesmal wollte sie sich wieder mit Beeren und Pilzen begnügen,

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