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Talivan (German Edition)

Talivan (German Edition)

Titel: Talivan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Tillmanns
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schnell herumdrehte, erwartete sie fast, in höhnisch gri n sende Gesichter über blitzenden Schwertern zu sehen, doch die Reiter waren fort. Sie schienen sich tiefer in den Wald hineingeschlagen zu haben, was ihr, zumal die Männer trotz des dichten Bodenbewuchses nicht a b gestiegen waren, vermutlich einigen Vo r sprung verschaffen würde. Warten wollte sie nicht, dazu schien ihr die G e fahr, dass sie oder ihre Stute doch noch en t deckt würden, zu groß.
     
    Erst jetzt begann sie zu überlegen, was sie mit der Krähe tun sollte. Ließe sie sie einfach wieder frei, würde der Vogel vermutlich erneut krächzen und die Reiter sogleich a n locken. Den Stock hatte sie verloren; außerdem war sie sich nicht sicher, ob das Tier, das den Raben, den U n glücksb o ten, so nah verwandt schien, nicht die wenigen verbleibe n den Sekunden seines Lebens noch nützen würde, ihr zu schaden, indem es einen letzten Schrei ausstieß.
    „Nichts als Ärger hat man mit dir“, murmelte sie ärgerlich, bevor sie mit dem Vogel in Händen mö g lichst geräuschlos zurück zu ihrem Pferd lief. Die Stute wieherte leise zur B e grüßung, als wisse sie genau um die Gefahr, die der Frau noch immer drohte. Diese schaffte es schließlich, die Krähe so unter einen Arm zu klemmen, dass sie ihr gleic h zeitig den Schnabel zuhalten und mit der anderen Hand das Pferd satteln konnte. Zum Trinken oder Essen war keine Zeit mehr; sie schwang sich mit leichter Mühe in den Sattel und ließ ihr Reittier vorsichtshalber, um keinen unnötigen Lärm zu verursachen, einige Zeit über den grasüberwachsenen Rand des Weges traben, bevor sie es zum Galopp a n trieb.
    Erst zwei bis drei Stunden später, nachdem sie mehrere Weggabelungen hinter sich gelassen hatte und recht sicher war, dass die Verfolger ihr nicht zu dicht auf den Fe r sen sein konnten, hieß sie das Tier anhalten. Ihr rechter Arm, der während der ganzen Zeit die Krähe gehalten hatte, zi t terte vor Anstrengung, und auch der Rest ihres Körpers war von der ungewohnten Haltung, da sie nur mit einer Hand die Zügel hatte fassen können, verkrampft und b e nötigte eine Pause.
    „Da wären wir also“, sagte sie und setzte die Krähe auf dem Sattelknauf ab. „Nun kannst du mir hoffentlich nicht mehr gefährlich werden.“
    Der Vogel legte den Kopf schief und sah sie an.
    „Worauf wartest du noch?“, fragte die Frau. „Flieg schon! Es gibt sicherlich noch genügend harmlose Reisende hier, die du erschrecken kannst!“
    Noch immer machte die Krähe keinerlei Anstalten, sich in die Luft zu erheben.
    „Dann eben nicht“, seufzte die Frau und stieg mit steifen Bewegungen ab. Zu ihrer Rechten hörte sie einen Bach plätschern, wahrscheinlich wieder den gleichen wie auch an den Tagen zuvor. Nachdem sie den schmerzenden R ü cken gestreckt und ihre Gliedmaßen kurz ausgeschüttelt hatte, führte sie das Pferd, auf dessen Sattel noch immer die Krähe saß, zum Wasser und ließ es dort grasen, während sie selbst sich eine Handvoll Beeren suchte und schlie ß lich so lange trank, bis ihr Magen gefüllt schien.
    „Ja, ein Vogel müsste man sein“, nickte sie der Krähe spö t tisch zu. „Sieh mich nicht so an, Menschen sind eben nicht dazu gemacht, in den Wäldern zu leben. Wenigstens nicht ohne einen guten Jagdbogen und genügend Erfahrung mit der Fallenstellerei.“
    Der Vogel hüpfte schwerfällig auf dem Sattel umher, ohne die Frau eines Blickes zu würdigen. Mit einem leisen Schnauben erhob diese sich und ging zu dem Pferd.
    „Na komm schon her“, sagte sie und hielt der Krähe den weniger schmerzenden Arm vor die Läufe, „wenn du nicht fliegen willst, werde ich dich eben auf den Boden setzen müssen. Du kannst ja nicht für immer auf dem Rücken meines Pferdes sitzen bleiben.“
    Als hätte er sie verstanden, kletterte der Vogel auf ihren Unterarm und ließ sich ruhig zu einer wenige Meter en t fernten Stelle tragen, wo das Unterholz licht ward und der schwarzglänzende Waldboden durchschimmerte. Kaum hatte die Frau ihn zu Boden gelassen, begann er die Erde mit seinem dunkel behaarten Schnabel zu durc h stochern.
    Sie wandte sich ab und setzte sich vor einen kleinen, moo s bewachsenen Hügel, auf den sie sich schließlich zurüc k sinken ließ. Wohlig räkelte sie sich und schloss die Augen. „Nur einen Moment noch, dann können wir unseren Weg for t setzen“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu ihrem Pferd. In den letzten Tagen hatte sie nie die Zeit gefunden, über das

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