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Talivan (German Edition)

Talivan (German Edition)

Titel: Talivan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Tillmanns
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da sie selbst nicht in der Lage gewesen wäre, Würmer aus dem Boden zu ziehen, und den Vogel nicht unnötig lange mit der Essenssuche b e schäftigen wollte. Dieser jedoch lockte sie zu einer Stelle, wo er den Boden so lange bearbeitete, bis sie endlich begriff und eine dicht unter der Oberfläche liegende, kleine Wurzel ausgrub. Wie um zu zeigen, dass sie es s bar sei, pickte die Krähe ein Stück davon ab. Nachdem die Frau die Wurzel im Bach ein wenig gesäubert hatte, probierte sie einen Bissen und fand sie erstaunlich woh l schmeckend, wenn auch ziemlich hart und holzig. Eine willkommene A b wechslung war es allemal. Sie fand noch einige weitere Wurzeln, von denen sie ein paar in eine moosgepolsterte Mulde am Bach gab, die sie mit Wasser füllte. Mit etwas Glück würden sie am nächsten Morgen, zum Frühstück, ausreichend eingeweicht und gerade recht zu essen sein.
    Bevor sie sich zur Ruhe legte, flüsterte die Frau ihrem Pferd ins Ohr: „Wenn du ein Geräusch wahrnimmst, wecke mich, aber tu dies leise!“
    Sie betrachtete die Krähe, die schon fast mit dem Dunkel der Nacht verschmolz, eine ganze Weile, ehe sie auch zu dieser hinüberging. „Auch für dich gilt“, sagte sie leise, „wecke mich, so du etwas hörst, doch nicht so laut, dass j e der andere dich ebenfalls vernimmt.“
    Wie in den vorangegangenen Nächten bedeckte sie sich mit Laub und schlief bald darauf tief und fest. Sie träumte wirre Dinge; von Raben, die auf Hexenschultern saßen; Pferden, die sich mit einem Male in ihre höhnisch grinsenden He r ren verwandelten; von etwas Kaltem, Stumpfen, das gegen ihre Wange stieß und sie fast noch mehr ängstigte als die im Traum vorangegangenen Gräuel.
    Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie mit einem Male hellwach war. Vorsichtig öffnete sie die Augen und sah sich um. Fast erwartete sie, die Krähe neben ihrem Gesicht sitzen zu sehen und erneut von ihrem Schnabel a n gestoßen zu werden. Doch der Umriss des Vogels zeichnete sich einige Meter von ihr entfernt gegen die hera n nahende Morgendämmerung ab, und erleichtert schlief sie auf der Stelle wieder ein.
     
    Tatsächlich waren die Wurzeln am nächsten Morgen leic h ter zu kauen. Die Frau sammelte noch eine Handvoll von ihnen, da sie nun, im Hellen, einfacher zu en t decken waren. Nachdem sie die Stute gesattelt hatte, wartete die Rabe n krähe schon geduldig darauf, auf den Sattel gehoben zu werden.
    „Nun, mein Reisegefährte“, sagte die Frau gutgelaunt, nachdem sie aufgesessen war, „dann halte dich fest – du weißt ja, wir sind in Eile …“
    Wären da nicht andere, dunklere Gedanken gewesen, sie hätte sicher laut aufgelacht beim Anblick des Vogels, der sich wiederum nur mit Mühe auf dem Sattel halten konnte. Manchmal öffnete er den Schnabel, wie um ein protesti e rendes Krächzen ertönen zu lassen, und doch gab er keinen Ton von sich. Fast schien es, als wisse er um die G e fahr, die der Frau drohte, wenn sie gefangen würde. Natürlich war sich diese darüber im Klaren, wie unsinnig dieser G e danke war. Die Stute mochte vielleicht spüren, wie der Frau zumute war, und auch eine Gefahr wittern können. Ein Vogel dagegen – diese Krähe war kein g e zähmtes Tier, hatte siche r lich nie zuvor in ihrem Leben so eng mit einem Menschen zusammengelebt wie nun. Was auch immer sie zum Bleiben veranlasst hatte – o b wohl es für sie eine äußerst beschwerliche Reise sein musste –, es hatte sicherlich keinen nac h vollziehbaren Grund.
    Schweigend ließ sie ihr Pferd weitergaloppieren. Als sie um die nächste Biegung des Weges preschten, riss sie das Tier reflexartig so abrupt am Zügel, dass es ein Stück über den Boden schlitterte, ehe es zum Stehen kam. Die Un i formen der drei Reiter, die sich nur wenige Meter vor ihr aufgebaut hatten, kannte sie nur zu gut.
    „Haben wir dich endlich, Hexe!“, grinste einer, wohl der Anführer, und zog langsam, in höhnischem Auskosten des Momentes, sein Schwert aus der Scheide.
    Die Frau verfluchte sich selbst für ihre Unachtsa m keit. So war es also doch kein Traum gewesen; die Krähe hatte sie zu wecken versucht, als die Männer im Mantel der Nacht an ihr vorbeiritten und so den Vorsprung erhielten, der i h nen diesen Hinterhalt ermöglichte. Schnell sah sie sich um, doch hinter ihr verließen gerade zwei weitere Männer ihre Deckung und versperrten ihr auf ihren Pferden den Rüc k weg. Sie sah wieder nach vorn. Lieber sterben als den Pranger oder gar Schlimmeres

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