Talivan (German Edition)
rade trug. Aber es stand Daron nicht zu, über seinen Herrn zu urteilen. Marviolo war sicher kein einfacher Mensch, doch reich genug, um Daron großzügig zu en t lohnen. Dass der Leibwächter regelmäßig entlassen und am näch s ten Tag wieder eingestellt wurde, gehörte zu den Marotten, die man bei den Reichen akzeptieren musste.
Natürlich blieb er Marviolo dennoch auf den Fersen, als der sich am frühen Abend in Richtung der Unterstadt von Alkyon aufmachte. Marviolo war bestimmt nicht sonde r lich geschickt darin, einen Verfolger zu en t decken, dennoch folgte ihm Daron sehr vorsichtig. Wenn der Kaufmann ihn bemerken würde, würde er sich diesmal vielleicht tatsächlich einen anderen Lei b wächter suchen.
Wie erwartet traf sich Marviolo mit einer Frau. An einem der Tische am Rand des Marktplatzes, der an den Vo r platz des neuen Ylcartempels grenzte, wartete sie schon auf ihn. Ein hübsches junges Mädchen, bemerkte Daron ohne Ve r wunderung; oft genug hatte er erlebt, wie der Glanz des Goldes die Augen hübscher junger Mädchen milde stim m te. Wie alle Gespielinnen des Kaufmanns war sie schlank und dunke l haarig; ihre Züge ähnelten Marviolos Ehefrau so stark, dass man sie für deren jüngere Schwester halten konnte. Die junge Frau reichte Marviolo zur B e grüßung eine goldberingte Hand, die der Kaufmann b e flissen an die Lippen hob, ehe er sich setzte. Langsam ging der Leibwächter etwas näher, immer im Schutz der Ve r kaufsstände mit Obst, den verschiedensten Teesorten und anderen Kü h lung versprechenden Dingen. Die hohen Stiefel des Mä d chens waren aus weichem Leder und mit Stickereien ve r ziert, ihr seidenes Hemd fein gearbeitet – was wollte diese Frau mit einem Mann wie Marviolo, der mindestens doppelt so alt und vom guten Leben längst au f gedunsen und träge war? Einen Moment lang übe r legte Daron, ob das Mädchen die edle Kleidung und den Schmuck von ihm e r halten hatte, doch die beiden schienen sich zum ersten Mal zu treffen.
Unsanft wurde Daron angerempelt, im gleichen Moment hörte er einen wütenden Aufschrei neben sich. Die be i den Männer, die sich mit gezückten Messern umkreisten und immer wieder wütend auf den staubigen Boden spuckten oder einen Fluch ausstießen, waren sofort von weiteren Menschen umringt, die den einen oder anderen a n stachelten oder auch beide zu beschwichtigen versuchten, und Daron stand mitten unter ihnen. Er hatte fast das G e fühl, dass sich die beiden Gegner immer wieder auf ihn zu bewegten, in welche Richtung er den Leuten auch zu en t kommen versuchte. Als er sich endlich aus der Mensche n ansammlung b e freit hatte, sah er sich suchend um.
Dort der Tisch, von dem sich gerade eine junge Frau erhob, den Rücken ihm zugewandt – oder irrte er sich? Sein Blick schweifte umher, blieb nur kurz an den Menschen hängen, die an den Tischen bei Apfe l wein oder Tee saßen und den kurzen Moment der Muße genossen. Nein, Marviolo war fort, das Mädchen gerade ruhig au f gestanden, als sei nichts geschehen, und doch musste etwas passiert sein.
Als er den Felsen in seinem Magen spürte, war Daron schon losgelaufen, bahnte sich unsanft einen Weg durch die Menschen, die ihn von dem Mädchen trennten, es vor ihm zu verbergen drohten. Das Kurzschwert, dessen lederne Hülle an seinem Waffengurt befestigt war, schlug bei jedem Schritt beruhigend gegen seinen linken Obe r schenkel. Er würde sie finden und erfahren, was Marviolo zugestoßen war. Er war es nicht g e wohnt zu verlieren.
Daron rannte die junge Frau fast um, ehe er sie e r kannte, um im nächsten Moment wieder vor ihrer Äh n lichkeit mit Marviolos verstoßener Frau zurückz u schrecken. Sie sah ihn zuerst verständnislos, dann e r schrocken an, als er sie packte und aus der Menge auf den großen offenen Platz vor dem Ylcar-Tempel zerrte.
„Wo ist er?“, herrschte er das Mädchen an, das nur den Kopf schüttelte. „Du brauchst keine Angst haben, ich kann dich vor den Leuten beschützen, die Marviolo entführt h a ben!“
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, stotterte das Mädchen.
Dafür hatte er keine Zeit. Angst ließ sich manchmal nur durch größere Angst überwinden. „Komm mit!“, fuhr er sie an und zog sie quer über den Platz in Richtung Tempel. Das Mädchen war klein und zierlich; solange er ihre Obe r arme fest umklammert hielt, konnte er sie mit Leichtigkeit immer weiter zerren. Er achtete nicht auf die anderen Me n schen auf dem Platz, der Kleinen würde niemand zu
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