Talk Talk
Natalia. (»Willst du mir nicht mein Handy zurückgeben, Dana?« hatte sie gefragt, kaum daß sie im Wagen gesessen hatten, und er hatte geantwortet: »Nein. Ich brauche es noch, weil ich einen Anruf erwarte, okay? Kannst du jetzt mal Ruhe geben, ja? Danke!«)
Bevor er das tat, mußte er jedoch noch eine Kleinigkeit erledigen, die ein kleines bißchen unangenehm war, aber nicht riskant, überhaupt nicht. Gleich morgen früh, noch bevor er einen neuen Vertrag mit fünfhundert Freiminuten und gebührenfreien Wochenenden abschloß, mußte er zum Smart-Mart fahren und zur Herrenabteilung schlendern. Er hatte impulsiv und übereilt gehandelt. Er hatte nicht nachgedacht. Aber er sah es bereits vor sich: Irgendein Karrieresklave würde Regale auffüllen oder einen Besen vor sich her schieben, und er würde sagen: »He, Kumpel, kannst du mir vielleicht helfen? Ich hatte mein Handy hierhingelegt, hier oben auf die Vitrine, weil ich beide Arme voll hatte mit dieser hochwertigen Haines-Unterwäsche, und anscheinend ist es in diesen Spalt da gefallen. Danke, Mann, danke vielmals.« Ja, und dann würde er es ein zweites Mal wegwerfen, aber zuvor würde er den Menüpunkt »Eingegangene Anrufe« auswählen und die Nummer dieses Clowns notieren. Denn wer war hier der Arsch, wer war hier der Schlaumeier, wer trieb hier sein Spielchen mit wem?
ZWEI
»Wie hat er sich angehört?«
Bridger zuckte die Schultern. Sie sah auf seinen Mund. »Ich weiß nicht. Wie irgendein Mann.«
Es war früher Abend. Dana fühlte sich ausgebrannt und zerschlagen, so erschöpft, daß der Zeiger ihrer Batterieanzeige kaum noch ausschlug, aber die Hausarbeiten waren korrigiert und zurückgegeben, und sie hatte ihre Noten eingereicht. Jetzt saßen sie in einem Restaurant, Bridger hatte sie eingeladen. Das lautlose Kommen und Gehen der Kellnerin und die Ebbe und Flut der Gäste an der Bar wirkten auf sie wie eine Art visueller Massage, und als sie sich das zweite Glas Bier einschenkte, hatte sie das Gefühl, langsam wieder ins Leben zurückzukehren. Dieses Restaurant hatte ihr schon immer gefallen: Es gab alte Sofas und niedrige Tische, die Rockmusik war laut (sehr laut – sie konnte die Schwingungen in der Bierflasche, in den Kissen, im Tisch spüren und glaubte beinahe zu sehen, wie die Luft ringsumher vibrierte), und die anderen Gäste waren fast ausschließlich Studenten am örtlichen College. Die Beleuchtung war schummrig, an den Wänden hingen abstrakte, wie hingeworfen wirkende Bilder, und das Essen war billig und gut. Sie hatte Risotto bestellt, so ziemlich das einzige, was sie essen konnte, ohne zu kauen. Bridger aß eine Pizza, die Allzwecknahrung, die Basis seiner Ernährung. (»Nahrungspyramide? Klar weiß ich, was eine Nahrungspyramide ist: Man schneidet eine Pizza in immer kleinere Stücke, die man übereinanderlegt, bis der Stapel so hoch ist wie der Pegel in der Bierflasche, nachdem man die ersten beiden Schlucke getrunken hat.«)
»Du kannst hören«, sagte sie und beugte sich vor, »und mehr fällt dir nicht ein? Wie hat sich seine Stimme angehört?«
Auch er beugte sich vor, doch er machte ein eigenartiges Gesicht: Er hatte sie nicht verstanden. Die Musik war zu laut. »Was?« fragte er wenig originell.
Sie lächelte ihn an. »Genau wie an dem Abend, als wir uns kennengelernt haben.«
»Was?«
Also sagte sie es in Gebärdensprache, und er gebärdete zurück: Was meinst du damit?
Jetzt bist du auch taub.
Er hatte einen großen, mit den Türmen und Zinnen seiner gegelten Haare gekrönten Kopf, und manchmal, in einem bestimmten Licht, erschien ihr sein Gesicht komprimiert wie das eines Kindes. So war es auch jetzt. Er sah aus wie ein Kind, nichtsahnend und verwirrt, doch er ließ ihre Gebärden in seinem Kopf zu Begriffen werden und erfaßte den Sinn der Worte auf dem Weg über den Sehnerv. »Oh, ja«, sagte er. »Stimmt.«
Also – wie hat er sich angehört?
Ein Schulterzucken. Cool.
Cool? Der Schweinehund, der meine Identität gestohlen hat, ist cool?
Wieder ein Schulterzucken. Er hob die Bierflasche an die Lippen, um Zeit zu gewinnen, stellte sie sorgfältig wieder ab und sagte etwas, was sie nicht verstand.
Was?
Seine unbeholfene Gebärde, ungenau und nachlässig, und doch liebenswert, weil es seine Gebärde war: Mißtrauisch.
Er klang mißtrauisch? Cool und mißtrauisch?
Man beobachtete sie. Eine junge Frau am übernächsten Tisch bemühte sich, Dana nicht anzustarren, stieß aber verstohlen ihren Begleiter an. Sie waren
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