Tallinn-Verschwörung
einmal eine Maus durch den Kordon schlüpfen konnte, der um die Herrschaften gezogen werden sollte.
Für Hoikens war das jedoch kein Grund aufzugeben. Er besah sich die Planskizzen, die Ghiodolfio hatte erstellen lassen, und strich einige Punkte, die ihm interessant erschienen, mit einem Farbmarker an. Dumm waren die Italiener nicht, das musste er ihnen lassen. Der springende Punkt war nur, auch die letzte Hürde zu überwinden, an der Ghiodolfios Leute schon bei der Planung gescheitert waren. Die Sicherheitsvorkehrungen in Estland waren exzellent und sollten auch Selbstmordanschläge ausschalten. Doch es musste einen Weg geben, und über den dachte Hoikens gerade nach.
Das Geräusch der sich öffnenden Tür riss ihn aus seiner Konzentration. Er drehte sich um und sah Mazzetti eintreten. Der junge Italiener strahlte über das ganze Gesicht.
»Das hätten Sie sehen sollen! Wir haben gerade einen gepanzerten Geländewagen der Bundeswehr hochgejagt. Die Kerle kamen nicht einmal mehr dazu, einen Funkspruch abzusetzen oder gar zurückzuschießen.«
Hoikens schüttelte verärgert den Kopf. »Auf diese Weise macht ihr die Leute doch auf eure Festung aufmerksam. Ich dachte, sie sollte geheim bleiben!«
»Die Deutschen scheinen bereits zu ahnen, dass sich hier etwas tut, denn der Wagen kam genau in unsere Richtung.« Über Mazzettis Gesicht huschte ein leichter Schatten, doch er wischte Hoikens’ Bedenken mit einer heftigen Handbewegung fort.
»Wir werden sie überlisten. Der General hat befohlen,
dass wir das Wrack des Geländewagens bergen und etliche Kilometer weiter im Süden auf mazedonisches Gebiet schaffen. Die tedesci werden glauben, ihr Wagen wäre dorthin gefahren und von den mazedonischen Albanern beschossen worden.«
»Passen Sie aber auf, dass nichts zurückbleibt, was den Leuten der Bundeswehr einen Hinweis geben könnte, und prüfen Sie vor allem, ob ihr alle Mann erwischt habt. Wenn nur einer entkommt, können Sie Ihr schönes Camp A vergessen. «
Mazzetti winkte lachend ab. »Kamerad, Sie schließen von sich auf die anderen Leute der Bundeswehr. Sie würden den Trick durchschauen, aber die Offiziere drüben im deutschen Camp sehen nicht über ihre Nasenspitze hinaus. Andernfalls hätten sie keinen Dingo geschickt, sondern gleich einige Panzer.«
Hoikens schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ihr Idioten, warum musstet ihr euren Privatkrieg mit der Bundeswehr beginnen? Ausgerechnet jetzt, kurz vor dem entscheidenden Schlag, können wir uns keine Komplikationen leisten. Wenn die Sache in Tallinn ein Erfolg wird, brechen in zwei Dritteln der Staaten Europas die Regierungen auseinander, und wir können damit rechnen, dass unsere Leute in mehr als der Hälfte der EU-Staaten mit an die Macht kommen.«
»… die sie schon bald ganz in der Hand halten werden. Kommen Sie, Kamerad, regen Sie sich ab. Die Sache biegen wir schon wieder hin. Trinken wir lieber auf den zukünftigen italienischen Ministerpräsidenten Fiumetti und den baldigen deutschen Bundeskanzler Feiling.«
Während Mazzetti schwungvoll zwei Gläser mit Rotwein füllte, verzog Hoikens das Gesicht. Seine Zweifel an Feilings Fähigkeiten waren in letzter Zeit immer mehr gewachsen, und er konnte sich den Mann beim besten Willen nicht als
deutschen Regierungschef vorstellen. Dem selbsternannten Führer der deutschen Patrioten war es ja nicht einmal gelungen, alle freien Kameradschaften hinter sich zu versammeln.
In Italien sah die Sache anders aus. Fiumetti vermochte die Massen mitzureißen. Allerdings trug man dort nicht so schwer an der historischen Last wie in Deutschland. Mit einem Mal überkam Hoikens das Gefühl, dass es gerade in seinem Heimatland am schwersten werden würde, die nationale Revolution durchzusetzen. Er schüttelte diesen Gedanken rasch wieder ab, doch als Mazzetti ihm den Wein reichte, trank er nicht auf Feiling, sondern auf den Erfolg ihres Planes.
»Auf Tallinn, Kamerad, und darauf, dass wir dort das Fanal setzen, das wir für den weiteren Weg brauchen!«
IV. TEIL
AUF DER FLUCHT
EINS
W ährend sich in Albanien und im Kosovo die Ereignisse zuspitzten, blieb Don Batista in Rom nicht untätig. Da er seine bevorzugten Handlanger Lodovico und Gianni mit Graziella weggeschickt hatte, berief er einen weiteren Schläger aus Fiumettis Garde zu seinem zweiten Leibwächter und erschien mit ihnen vor Kardinal Monteleones Villa.
Als er klingelte, öffnete die alte Nora rasch die Tür. Es hätte ja einer aus der Familie des
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