Taltos
nicht.
Ganz gewiß war es schon vor dem Tod meines Vaters, und da war ich vierzehn. Er siechte schon eine ganze Weile dahin, es war also keine Überraschung und hat mich, ehrlich gesagt, auch nicht sonderlich betroffen. Er hatte sich irgendeine Krankheit eingefangen und nicht zugelassen, daß mein Großvater die Heilung übernahm, weil er Hexenkunst benutzt hätte, und Vater wollte doch Dragaeraner sein. Schließlich hatte er einen Titel im Jhereg erworben, oder nicht?
Blödsinn.
Aber egal, ich kann also nicht genau festlegen, wann ich die Dragaeraner mehr haßte als fürchtete, aber ich erinnere mich an einmal – ich glaube, da war ich zwölf oder dreizehn –, als ich umherlief und eine Lepip in den Hosenbeinen versteckt hatte. Eine Lepip? Das ist ein harter Stock oder ein Stück Metall, das mit Leder überzogen ist. Durch das Leder werden Schnittwunden 65
vermieden; das Ding ist dafür gedacht, jemandem weh zu tun, ohne Narben zu hinterlassen. Zwar hätte ich ein Rapier ganz ordentlich benutzen können, aber mein Großvater bestand darauf, daß ich keines trug. Er fand, damit würde man den Ärger geradezu anziehen, und wenn man es zog, würde es einen Kampf bis zum Tod an-zeigen, wo doch ansonsten nur jemand verletzt würde.
Anscheinend fand er, daß man niemals ein Leben nehmen durfte, wenn es nicht notwendig war, nicht einmal das eines Tieres.
Jedenfalls weiß ich noch, daß ich damals absichtlich durch einige Gegenden spaziert bin, in denen Schläger aus dem Haus der Orca gerne rumhingen, und ja, sie haben mich angepöbelt, und ja, ich hab sie vermöbelt.
Vermutlich haben sie einfach nicht damit gerechnet, daß einer aus dem Ostreich sich wehrt, und ein schwerer Stock kann in einem Kampf schon was bewirken.
Aber das erste Mal war das nicht, also weiß ich es nicht. Aber was macht es schon für einen Unterschied?
Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück und sagte:
»Kragar, ich habe mal wieder ein Forschungsprojekt für dich.«
Er verdrehte die Augen. »Na großartig. Und was?«
»Es gibt da einen Magier namens Loraan aus dem
Haus der Athyra.«
»Nie gehört.«
»Dann mach dich mal an die Arbeit. Ich brauche eine vollständige Zeichnung seiner Behausung, inklusive Grundriß, und einen Hinweis, wo er wohl seine Arbeit erledigt.«
»Ein Grundriß? Von der Behausung eines Athyra-
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Magiers? Wie soll ich denn da rankommen?«
»Du erzählst mir ja nie, wie du so vorgehst, Kragar, woher soll ich es dann wissen?«
»Vlad, wieso muß ich immer, wenn du gierig wirst, meine Haut riskieren?«
»Weil du in diesem Fall zehn Prozent abkriegst.«
»Wovon?«
»Von ner ganzen Menge.«
»Sag mal, das ist doch mehr als ›ein ordentlicher Balzen‹, oder?«
»Jetzt werd mal nicht frech.«
»Wer, ich? Na gut, wann willst du die Sachen haben?
Und wenn du jetzt wieder ›Gestern‹ sagst, dann –«
»Gestern.«
»– muß ich mich beeilen. Wieviel darf ich ausgeben?«
»Egal.«
»Das habe ich mir schon gedacht. Ich bin bald wieder da«
Ich weiß nicht mehr so genau, wann ich das erstemal einen Dragaeraner getötet habe. Wenn ich mich mit ihnen geprügelt habe, war es mir egal, wo ich sie wie hart traf, und ich weiß, daß ein paar von denen häufiger mal liegengeblieben sind, als wir fertig waren. Damals habe ich ihnen mit meiner Lepip voll auf den Kopf gehauen, und es würde mich überraschen, wenn dabei keiner ins Gras gebissen hätte. Aber genau weiß ich es nicht.
Hin und wieder macht mir das zu schaffen. Ich meine, irgendwie hat es was Beängstigendes, wenn man rückblickend nicht weiß, ob man jemanden getötet hat oder nicht. Ich denke an einige dieser Kämpfe, und die 67
meisten sehe ich noch deutlich vor mir, und ich frage mich, wo sind diese Leute heute, wenn es sie noch gibt.
Allerdings, so lange denke ich auch wieder nicht darüber nach. Was soll’s.
Beim erstenmal, als ich jemanden umgebracht habe und es auch wußte, war ich dreizehn.
Die Art und Weise, wie Kragar die von mir gewünschten Informationen beschafft hat, ist eine schöne Geschichte, aber die soll er selbst mal erzählen. Er hat schon merkwürdige Freunde. Während der zwei Tage, die es
gedauert hat, ist es mir gelungen, ein Geschäft über eine Glücksspielunternehmung abzuschließen, auf die ich scharf war, dann habe ich noch jemanden, der einem Freund Geld schuldig war, davon überzeugt, daß
Zurückzahlen der einzige eines Mannes würdige Ausweg ist, und schließlich ein lukratives Angebot
zurückgewiesen,
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