Taltos
fragen darf?«
»Ihr dürft nicht.«
»Na gut.«
Sie nahm den Stab an sich und verließ den Raum. Ich wickelte mir die Kette um das linke Handgelenk, dann fragte ich Morrolan, ob er so freundlich wäre, mich nach Hause zurück zu teleportieren. Er sagte ja und tat es dann auch.
Bei meiner ersten Begegnung mit Kiera war ich elf, während einer Zankerei in der Schenke meines Vaters, und sie war damals übermäßig freundlich zu mir gewesen
– als erste Dragaeranerin überhaupt. Seither haben wir in unregelmäßigen Abständen miteinander zu tun. Einmal hatte ich sie gefragt, warum sie mich mochte, wo doch jeder andere Dragaeraner sonst mich gehaßt hatte. Darauf hat sie nur gelächelt und mir durch die Haare gewuschelt.
Nochmal habe ich dann nicht gefragt, mir dafür aber jede Menge Gedanken gemacht.
Zwar trug sie die grauen und schwarzen Farben jenes Hauses, in dessen Adelsränge uns mein Vater eingekauft hatte, doch nach und nach begriff ich, daß sie für die Organisation arbeitete – als Diebin. Das hat mich nie beunruhigt, sondern im Gegenteil immer fasziniert. Und 101
Kiera hat mir auch ein paar Sachen beigebracht, zum Beispiel Schlösser aufbrechen, Zauberalarme entschärfen und wie ich mich durch eine Menge bewege, ohne daß mich jemand bemerkt. Sie wollte mir noch mehr
beibringen, aber ich konnte mir nie wirklich vorstellen, ein Dieb zu sein.
Ich will gar nicht von den ganzen langweiligen
Geschäftsangelegenheiten erzählen, die der Betrieb einer Schenke so mit sich bringt, aber einmal – ich glaube, als ich fünfzehn war – hatte es so ausgesehen, als müßte ich den Laden wegen so einer komischen Steuersache
verkaufen. Gerade, als ich mich zu entscheiden
versuchte, wie ich damit umgehen sollte, kamen keine Repressalien mehr, und der Steuereintreiber des Imperiums schaute auch nicht mehr vorbei.
Nun war ich noch nie jemand, der die Dinge einfach so auf sich beruhen läßt, deshalb habe ich mich auf die Suche nach ihm gemacht, um zu erfahren, was der Grund dafür war. Schließlich sah ich den Kerl, wie er einen anderen Händler in der Gegend behelligte, und ich fragte nach.
»Man hat sich darum gekümmert«, war seine Antwort.
»Wie?«
»Die Summe wurde beglichen.«
»Von wem?«
»Etwa nicht von Euch?«
»Kann sein.«
»Was soll das heißen, kann sein?«
Meine Gedanken rasten. »Mir fehlt etwas Geld«, sagte ich, »und jemand sollte sich um die Angelegenheit kümmern, und ich wollte nur sichergehen, daß derjenige es auch erledigt hat.«
102
»Ein Jhereg hat es abbezahlt. Eine Jhereg-Lady.«
»In einem grauen Umhang mit großer Kapuze? Lange Finger, tiefe Stimme?«
»Genau.«
»Na gut, danke.«
Ungefähr eine Woche danach traf ich Kiera in einer Gasse, wo sie an eine Mauer gelehnt stand. Ich ging auf sie zu und sagte: »Danke.«
»Wofür?« fragte sie unter ihrer Kapuze hervor.
»Daß du meine Steuern bezahlt hast.«
»Ach das«, sagte sie. »Keine Ursache. Ich möchte, daß du mir einen Gefallen schuldig bist.«
»Ich schulde dir doch schon mindestens hundert«, erwiderte ich. »Aber wenn ich noch etwas für dich tun kann, jederzeit gerne.«
Nach kurzem Zögern sagte sie: »Das kannst du.«
Ein bißchen hatte ich das Gefühl, sie würde sich das alles ausdenken, während wir uns unterhielten, aber ich sagte nur: »Na klar. Worum geht es?«
Sie schob die Kapuze in den Nacken und starrte mich an. Dann biß sie sich auf die Unterlippe, und ich war plötzlich ganz baff, weil Dragaeraner sowas auch tun.
Ich bin jedesmal aufs neue überrascht, wie jung sie aussieht, wenn man ihr nicht in die Augen schaut.
Langsam und sorgfältig überprüfte sie die Umgebung.
Dann wandte sie sich mir wieder zu und hatte plötzlich etwas in der Hand. Ich nahm es an mich. Es war eine kleine, durchsichtige Phiole mit einer dunklen
Flüssigkeit, vielleicht eine Unze schwer. »Kannst du für mich darauf achtgeben?« fragte sie. »Ich glaube nicht, daß es für dich gefährlich ist. Für mich ist es aber gefährlich, wenn ich es gegenwärtig bei mir habe.«
103
Ich sah mir das Fläschchen an, ob es zerbrechlich war.
Anscheinend nicht sehr. Also sagte ich: »In Ordnung.
Wie lange meinst du, daß ich es behalten soll?«
»Nicht lange. Vielleicht zwanzig oder dreißig Jahre.«
»Häh? Kiera –«
»Oh. Ach ja. Ich nehme an, für dich ist das ziemlich viel. Naja, vielleicht dauert es nicht ganz so lange. Und wie ich schon sagte, für dich dürfte es nicht gefährlich sein.«
Sie
Weitere Kostenlose Bücher