Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
du gesehen, was für Blicke Erius dem Mundschenk zum Ende hin zugeworfen hat, als Korin so betrunken war?«
Tobin lachte reumütig. »Ja, er war wirklich ziemlich angeheitert, nicht wahr? Ich fürchte, ich auch. Wer hätte gedacht, dass in Atyion so viele verschiedene Weine hergestellt werden?«
Ki gähnte. »Merk dir meine Worte: Nun, da der König zurück ist, wird Meister Porion seinen Willen bekommen, und es wird im Speisesaal für keinen von uns mehr etwas zu trinken geben.« Er gähnte abermals. »Was mich keineswegs stört, wenn wir dadurch nicht mehr mit ansehen müssen, wie sich Korin und die anderen jeden zweiten Abend besinnungslos saufen.«
Tobin grunzte eine schläfrige Zustimmung.
Ki fühlte, wie er in den Schlaf abglitt. »Das Zimmer dreht sich, Tobin.«
»Mhm. Korin war wohl nicht der Einzige, der zu viel hatte. Schlaf nicht auf dem Rücken, Ki.«
Die beiden Jungen kicherten.
»Und du sagst, Bruder hasst den König auch?«, murmelte Ki, dessen Gedanken auf den Schlaf zuwanderten. »Dann war es ein Glück, dass er sich bei dem Fest nicht gezeigt hat, was?«
Kis müdes Gemurmel vertrieb den Schlaf aus Tobins Gedanken. Vielleicht könnte Bruder in das Herz des Königs blicken und erkennen, ob er freundlich oder böse war. Tiefer als das jedoch lag das allgegenwärtige, einsame Wissen, dass Bruder, obschon er ein Lügner und Dämon sein mochte, zu den wenigen gehörte, denen sich Tobin völlig anvertrauen konnte.
Als Ki schnarchte, blies Tobin die Nachtlampen aus und holte die Puppe aus seinem Bündel. Dann tastete er sich zum Kamin und kniete sich hin. Sein Herzschlag pochte ihm in den Ohren. Wagte er überhaupt, ihn zu rufen? An dem Tag, als der König in die Feste gekommen war, hatte Bruder verrückt gespielt und umhergetobt wie ein Wirbelwind. Was würde er nun tun, da sich Erius nur ein Stück den Gang hinab aufhielt?
Tobin umklammerte die Puppe fest, als könnte dies Bruder bändigen. »Blut, mein Blut; Fleisch, mein Fleisch; Knochen, mein Knochen«, flüsterte er und wappnete sich für Gewalt. Doch Bruder erschien einfach vor ihm kniend wie ein Spiegelbild. Das einzige Anzeichen seiner Wut war die schreckliche, ins Mark dringende Kälte, die ihn begleitete.
»Der König ist hier«, murmelte Tobin, bereit, Bruder wieder wegzuschicken, sollte er sich bewegen.
Ja.
»Du bist nicht wütend auf ihn?«
Die Kälte wurde unerträglich, als sich Bruder vorbeugte. Ihre Nasen berührten sich beinah; wäre Bruder lebendig gewesen, hätte Tobin seinen Atem gerochen, als er zischte: »Töte ihn.«
Schmerzen schossen durch Tobins Brust, als hätte Bruder die verborgene Naht aufgerissen.
Er sank nach vorn auf die Hände und zwang sich, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Langsam gingen die Schmerzen zurück. Als er die Augen wieder aufschlug, war Bruder fort. Tobin lauschte ängstlich, erwartete in der Nähe irgendjemandes Aufschrei, aber alles blieb still. Rasch flüsterte er den Zauber erneut, um zu gewährleisten, dass Bruder wirklich weg war, dann eilte er zurück ins Bett.
»Ist er gekommen?«, fragte Ki leise, der doch nicht schlief.
Tobin war froh, dass er die Lampen ausgeblasen hatte. »Du hast nichts gehört?«
»Nein, gar nichts. Ich dachte, du hättest es dir vielleicht anders überlegt.«
»Er ist gekommen«, sagte Tobin, erleichtert darüber, dass Ki die gefährlichen Worte nicht vernommen hatte. Er rückte nach und stieß mit dem nackten Fuß gegen jenen Kis.
»Verdammt, Tobin, du bist völlig durchfroren! Komm unter die Decke.«
Sie streiften die Kleider ab und zogen die Decken über sich, aber Tobin schien sich einfach nicht erwärmen zu können. Seine Zähne klapperten so laut, dass Ki es hörte und sich näher zu seinem Freund bewegte.
»Bei Bilairys Hinter, was bist du kalt!« Er rieb Tobins Arme, dann fühlte er seine Stirn. »Bist du krank?«
»Nein.« Das Reden fiel Tobin ob der klappernden Zähne schwer.
Eine Pause entstand, dann fragte Ki: »Was hat Bruder gesagt?«
»Er … er mag den König immer noch nicht.«
»Das ist keine Überraschung.« Erneut rieb er Tobins Arme, dann legte er sich dicht neben ihn und gähnte wieder. »Tja, wie ich schon sagte – ein Glück, dass du kein Mädchen bist.«
Tobin presste die Augen zu und war abermals froh über die schützende Dunkelheit.
In jener Nacht kehrten die Frauenschmerzen wieder. Manchmal spürte Tobin ein dumpfes Pochen unter den Hüftknochen, wenn Vollmond herrschte, doch diesmal war es dasselbe
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