Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
sagte Sephrenia leise zu ihnen. »Bitte braust nicht gleich auf, falls euch irgend jemand beleidigt. In diesem Saal hat sich im Laufe von mehreren tausend Jahren Groll aufgestaut, und etwas davon wird sicher überquellen.« Sie durchquerte den Saal, um sich auf eine der Marmorbänke zu setzen.
Zalasta trat in die Mitte des Saals, wo er still stehenblieb und keine Anstalten machte, die Anwesenden zur Ordnung zu rufen. Die Traditionen des Rates waren nur dem Eingeweihten verständlich. Allmählich verstummten die Gespräche und die Ratsmitglieder nahmen ihre Plätze ein.
»Es ist mir eine Freude«, sagte Zalasta auf Styrisch, »dem Rat mitteilen zu können, daß uns heute wichtige Gäste mit ihrer Anwesenheit beehren.«
»Also, ich betrachte es nicht als Ehre!« rief ein Ratsherr. »Diese ›Gäste‹ scheinen zum größten Teil Elenier zu sein, und ich bin ganz und gar nicht daran interessiert, mich mit Schweineessern abzugeben!«
»Das verspricht eine ziemlich unerfreuliche Sitzung zu werden«, murmelte Sperber. »Unseren styrischen Vettern fällt ungehobeltes Benehmen offenbar ebenso leicht wie uns.«
Zalasta ignorierte den flegelhaften Sprecher und fuhr fort: »Sarsos gehört dem Tamulischen Imperium an«, erinnerte er die Versammelten, »und wir profitieren sehr von dieser Verbindung.«
»Und die Tamuler sorgen dafür, daß wir auch genug dafür zahlen!« rief ein anderes Ratsmitglied.
Auch diesen Zwischenrufer ignorierte Zalasta. »Ich bin sicher, ihr alle heißt Außenminister Oscagne vom Tamulischen Imperium herzlich willkommen.«
»Seid Ihr Euch da wirklich so sicher, Zalasta?« brüllte jemand und lachte spöttisch.
Oscagne erhob sich. »Ich bin überwältigt von dieser herzlichen Begrüßung«, sagte er trocken in perfektem Styrisch.
Pfiffe und Buhrufe erklangen aus den Sitzreihen, verstummten jedoch abrupt, als Engessa aufstand und die Arme vor der Brust verschränkte. Er machte sich gar nicht die Mühe, den aufsässigen Ratsherren einen finsteren Blick zuzuwerfen.
»So ist es besser«, lobte Oscagne. »Ich freue mich, daß die legendäre Höflichkeit der Styriker sich endlich eingestellt hat. Wenn ihr gestattet, stelle ich euch kurz meine Begleiter vor. Dann unterbreiten wir euch eine dringende Angelegenheit zur Beratung.« Er stellte Patriarch Emban vor. Unfreundliches Gemurmel erhob sich.
»Das richtet sich gegen die Kirche, Eminenz«, flüsterte Stragen ihm zu, »nicht gegen Euch persönlich.«
Als Oscagne Ehlana vorstellte, raunte ein Ratsherr in der obersten Reihe seinem Nachbarn etwas ins Ohr, das ein unverkennbar vulgäres Lachen auslöste. Mirtai richtete sich wie eine Sprungfeder auf, und ihre Hände schossen zu ihren Dolchen.
Mit scharfer Stimme sagte Engessa irgend etwas auf tamulisch zu ihr.
Mirtai schüttelte den Kopf. Ihre Augen funkelten, sie hatte das Kinn vorgeschoben und zog einen Dolch. Vermutlich verstand sie kein Styrisch, doch die Bedeutung dieses Gelächters verstand sie durchaus.
Sperber stand auf. »Es ist meine Sache, etwas zu unternehmen, Mirtai«, sagte er.
»Ihr wollt es nicht mir überlassen?«
»Diesmal nicht, Mirtai. Tut mir leid, aber es ist eine formelle Zusammenkunft, und wir sollten uns an die Regeln halten.« Er blickte zu dem unverschämten Styriker auf der obersten Bankreihe hinauf. »Würdet Ihr das, was Ihr eben gesagt habt, etwas lauter wiederholen, Nachbar?« fragte er auf styrisch. »Wenn es so lustig ist, solltet Ihr uns vielleicht an Eurer Heiterkeit teilhaben lassen.«
»Na, so was!« höhnte der Kerl. »Ein Hund, der sprechen kann!«
Nun erhob sich Sephrenia. »Ich rufe die Tausend zum traditionellen Augenblick der Stille auf«, sagte sie auf styrisch.
»Wer ist denn gestorben?« rief das Großmaul.
»Ihr, Camriel«, entgegnete sie ruhig. »Deshalb wird unsere Trauer auch nicht sehr groß sein. Dies hier ist Prinz Sperber, der Mann, der den Älteren Gott Azash vernichtet hat. Ihr habt seine Gemahlin beleidigt, Camriel. Wollt Ihr die übliche Beerdigung? Vorausgesetzt natürlich, es bleibt noch genug von Euch übrig, um es der Erde zu übergeben, wenn er mit Euch fertig ist.«
Camriels Kinn war herabgesunken, und sein Gesicht war totenbleich. Die anderen Ratsmitglieder erschraken sichtlich.
»Sein Name hat offensichtlich immer noch Gewicht«, flüsterte Ulath Tynian zu.
»Offensichtlich. Und unser unverschämter Freund da oben ist anscheinend in Gedanken über seine Sterblichkeit versunken.«
»Ratsherr Camriel«, sagte Sperber nun
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