Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
Bhelliom eine der Kräfte ist, die an der Erschaffung des Universums beteiligt waren, wie Ihr sagtet, dann muß ihm unbedingt die Möglichkeit gegeben werden, sein Werk fortzusetzen. Andernfalls wird das Universum Schaden nehmen.«
»Aphrael sagte, daß diese Welt nicht ewig bestehen wird.« Sperber zuckte die Schultern. »Irgendwann wird sie untergehen, und Bhelliom wird wieder frei sein. Der Verstand scheut vor dieser Vorstellung zurück, aber ich denke, daß die Zeitspanne von dem Augenblick an, da Bhelliom von unserer Welt eingefangen wurde, bis zu dem Moment, an dem sie verglühen wird, wenn unsere Sonne explodiert, für den Geist, den dieser Stein beherbergt, nicht mehr als ein Lidschlag ist.«
»Auch mir macht die Vorstellung von Ewigkeit und Unendlichkeit zu schaffen, Prinz Sperber«, gestand Zalasta.
»Ich glaube, wir werden uns damit abfinden müssen, daß Bhelliom für immer verloren ist, Weiser«, sagte Sperber. »Somit sind wir im Nachteil, aber damit müssen wir uns wohl abfinden. Ich fürchte, wir sind ganz auf uns selbst gestellt.«
Zalasta seufzte. »Vielleicht habt Ihr recht, Prinz Sperber. Aber wir brauchen den Bhelliom wirklich! Meines Erachtens hängen Erfolg oder Mißerfolg unseres Kampfes von diesem Stein ab. Ich glaube, wir sollten unsere Bemühungen auf Sephrenia konzentrieren. Sie hat großen Einfluß auf ihre Schwester.«
»Das ist mir auch aufgefallen«, pflichtete Sperber ihm bei. »Wie waren sie als Kinder?«
Zalasta blickte in die fast schon nächtliche Dunkelheit. »Nach Aphraels Geburt hatte sich unser Dorf sehr verändert. Wir wußten sofort, daß sie kein gewöhnliches Kind war. Alle Jüngeren Götter sind regelrecht vernarrt in sie. Sie ist das einzige Kind unter ihnen, und sie haben Aphrael durch die Äonen hindurch unbeschreiblich verwöhnt.« Er lächelte leicht. »Sie hat die Kunst, ein Kind zu sein, zur Vollendung geführt. Alle Kinder sind liebenswert. Doch Aphrael versteht sich so geschickt darauf, die Liebe aller zu erobern, daß sie selbst Herzen aus Stein schmelzen läßt. Die Götter bekommen immer, was sie wollen. Doch Aphrael bringt uns dazu, aus Liebe zu tun, was sie will.«
»Das ist mir nicht entgangen«, sagte Sperber trocken.
»Sephrenia war ungefähr neun Jahre alt, als ihre Schwester geboren wurde, und von dem Augenblick an, da sie die Kindgöttin zum erstenmal sah, hat sie ihr ganzes Leben dem Dienst an ihr geweiht.« Ein eigenartiger Schmerz schwang bei diesen Worten in der Stimme des Magiers mit.
»Das Säuglingsalter hat Aphrael gewissermaßen übersprungen«, fuhr Zalasta fort. »Vom Augenblick ihrer Geburt an konnte sie sprechen, und das Zähnekriegen und Gehenlernen übersprang sie gewissermaßen. Ich war mehrere Jahre älter als Sephrenia und hatte mein Studium längst begonnen, doch ich verfolgte Aphraels Entwicklung voller Faszination. Es kommt nicht oft vor, daß man miterleben darf, wie eine Gottheit aufwächst.«
»Sehr selten«, murmelte Sperber.
Zalasta lächelte. »Sephrenia verbrachte jede Sekunde mit ihrer Schwester. Von Anfang an war offensichtlich, daß zwischen den beiden eine ganz besondere Bindung bestand. Es gehört zu Aphraels Eigenarten, daß sie in die Rolle des hilflosen Kindes schlüpft. Sie ist eine Göttin und sollte gebieten, aber das tut sie nicht. Beinahe hat es den Anschein, als würde es ihr Spaß machen, gescholten zu werden. Sie ist gehorsam – sofern es ihr paßt –, aber dann und wann tut sie etwas ganz und gar Unmögliches – wahrscheinlich nur, um die Leute daran zu erinnern, wer sie wirklich ist.«
Sperber dachte an die Schar Elfen, die im Schloßgarten von Cimmura die Blumen bestäubt hatten.
»Sephrenia war immer ein vernünftiges Kind, das sich fast wie eine Erwachsene benahm. Ich vermute, daß Aphrael, noch ehe sie geboren war, ihre Schwester auf eine lebenslange Aufgabe vorbereitet hatte. Sephrenia wurde im wahrsten Sinne des Wortes zu Aphraels Mutter. Sie versorgte sie, fütterte sie, badete sie – obwohl das hin und wieder zu heftigem Aufbegehren führte. Aphrael haßt es, gebadet zu werden – und sie braucht es auch gar nicht, da sie jeglichen Schmutz jederzeit verschwinden lassen kann. Ich weiß nicht, ob Euch aufgefallen ist, daß sie stets Grasflecken an den Füßen hat, auch an Orten, wo kein Gras wächst. Aus irgendeinem Grund, der mir beim besten Willen nicht einfallen will, scheint sie diese Flecken zu brauchen.« Der Styriker seufzte. »Als Aphrael etwa sechs war, mußte Sephrenia
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