Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
Fleischstück, das man eine Woche zu lange abhängen ließ.«
Kalten warf ein: »Ich hab's auch gerochen, Sperber – wenngleich höchstens eine Sekunde. Aber es hat einen verdammt schlechten Geschmack in meinem Mund zurückgelassen.«
Emban nickte heftig. »Ich verstehe etwas von Gerüchen. Es war ohne Zweifel verdorbenes Fleisch.«
»Wir standen in einem Halbkreis«, sagte Sperber nachdenklich, »und wir alle sahen – oder spürten – es direkt hinter uns. Hat einer von euch es hinter einem der anderen gesehen?«
Alle schüttelten den Kopf.
»Hättet Ihr die Güte, uns das alles zu erklären, Sperber?« sagte Emban gereizt.
»Einen Moment noch, Eminenz.« Sperber überquerte das Deck und sprach mit einem Seemann, der gerade ein Stopperstek knüpfte. Er unterhielt sich mehrere Minuten mit dem teerbeschmierten Mann, dann kehrte er zurück.
»Er hat es ebenfalls gesehen«, berichtete er. »Ich schlage vor, wir befragen auch die übrigen Seeleute an Deck. Ich will euch nichts verheimlichen, meine Herren. Ich halte es nur für besser, die Matrosen so rasch wie möglich zu befragen, solange ihre Erinnerung an den Zwischenfall noch frisch ist. Ich möchte gern wissen, wie weitreichend diese Erscheinung war.«
Etwa eine halbe Stunde später kamen sie am Heckniedergang wieder zusammen. Jeder machte einen aufgeregten Eindruck.
»Einer der Seeleute hat eine Art Prasseln gehört – wie von einem großen Feuer«, berichtete Kalten.
»Und mir hat einer der Männer gesagt, daß der Schatten eine schwach rötliche Tönung gehabt hätte«, fügte Oscagne hinzu.
»Nein«, widersprach Emban. »Er war grün. Der Seemann, den ich befragte, hat behauptet, der Schatten sei zweifelsfrei grün gewesen.«
»Und ich sprach mit einem Mann, der gerade an Deck gekommen war. Er hatte weder etwas gesehen, noch gespürt«, sagte Sperber.
»Das alles ist sehr interessant, Ritter Sperber«, meinte Oscagne, »aber könntet Ihr es uns jetzt bitte erklären?«
»Kalten weiß bereits Bescheid, Exzellenz«, sagte Sperber. »Es hat ganz den Anschein, als hätten wir soeben Besuch von den Trollgöttern bekommen.«
»Hütet Euch, Sperber«, warnte Emban, »das grenzt an Ketzerei!«
»Ordensritter dürfen sich damit befassen, Eminenz. Dieser Schatten folgte mir jedenfalls schon früher, und damals sah auch Ehlana ihn. Damals führten wir es darauf zurück, daß wir die Ringe trugen. Die Steine an diesen Ringen waren Splitter von Bhelliom. Jetzt scheint der Schatten nicht mehr so wählerisch zu sein.«
»Das ist alles? Nur ein Schatten?« fragte Oscagne.
Sperber schüttelte den Kopf. »Er kann sich auch als sehr dunkle Wolke zeigen, die jeder zu sehen vermag.«
»Aber nicht, was sich darin verbirgt«, warf Kalten ein.
»Und das wäre?« fragte Oscagne.
Sperber warf Emban einen raschen Blick zu. »Diese Antwort würde ein theologisches Streitgespräch auslösen, Exzellenz. Dann müßten wir den ganzen Vormittag mit der Debatte vergeuden.«
» So doktrinär bin ich nun auch wieder nicht, Sperber!« entrüstete sich Emban.
»Was würdet Ihr denn sagen, wenn ich behaupte, daß Menschen und Trolle miteinander verwandt sind, Eminenz?«
»Ich würde den Zustand Eurer Seele untersuchen müssen.«
»Dann sollte ich Euch die Wahrheit über unsere Vettern besser ersparen. Wie auch immer, Aphrael hat uns erklärt, daß der Schatten – und später die Wolke – Manifestationen der Trollgötter waren.«
»Wer ist Aphrael?« erkundigte sich Oscagne.
»Wir hatten eine Lehrerin, die uns als Novizen in den styrischen Künsten unterrichtete, Exzellenz«, erwiderte Sperber. »Aphrael ist ihre Göttin. Wir waren der Meinung, die Wolke habe etwas mit Azash zu tun, doch das war ein Irrtum. Der rötliche Farbton und die Hitze, die dieser Seemann gesehen und gespürt hat, stammen von Khwaj, dem Gott des Feuers. Die grünliche Farbe und der Geruch nach verderbendem Fleisch hingegen stammten von Ghnomb, dem Gott des Essens.«
Kalten runzelte die Stirn. »Ich dachte, es wäre nur Seemannsgarn, aber einer der Burschen sagte mir, er hätte ein überwältigendes Verlangen nach Frauen gehabt, während der Schatten hinter ihm lauerte. Verehren die Trolle nicht auch einen Gott der Paarung?«
»Ich glaube schon«, murmelte Sperber. »Ulath müßte es wissen.«
»Die ganze Sache ist sehr interessant, Ritter Sperber«, sagte Oscagne skeptisch, »aber mir ist nicht klar, was das alles bedeutet.«
»Ihr habt übernatürliche Vorfälle erlebt, die vermutlich mit
Weitere Kostenlose Bücher