Tamuli 2 - Das leuchtende Volk
ursprünglichen Zustand wiederherstellen könnte – abgesehen davon, daß ihm die Kräfte dazu fehlen.«
»Was, in Gottes Namen, habt Ihr getan, Sperber?« rief Emban. »Ihr reißt die Welt auseinander.«
»Sag ihnen, daß sie sich nicht zu beunruhigen brauchen, Anakha«, sprach Bhelliom wieder aus Vanions Mund. »Ich würde meiner Tochter kein Leid zufügen, denn ich liebe sie. Sie ist manchmal ein launenhaftes, wetterwendisches Kind und neigt zu unreifen Wutanfällen, aber auch zu süßer, argloser Eitelkeit. Sie schmückt sich mit Frühling und hüllt sich in das dicke weiße Gewand des Winters. Der Druck und die Spannungen, die ich durch die Errichtung der Mauer gelöst habe, verursachten ihr über die letzten tausend Äonen hinweg ohnehin ein wenig Unbehagen. Jetzt ist sie zufrieden und freut sich über ihre neue Zierde. Denn, wie ich schon sagte, sie ist ein wenig eitel.«
»Wo ist Kring?« fragte Mirtai plötzlich.
»Wir haben ihn, Engessa und Khalad an der Klippe zurückgelassen«, erklärte Sperber. »Bhellioms großartige Mauer verhindert, daß die Trolle uns etwas anhaben können, aber sie läßt auch nicht zu, daß wir zu ihnen gelangen. Wir müssen uns etwas einfallen lassen, die Trollgötter daran vorbei zu bekommen, damit sie sich ihre Trolle zurückholen können.«
»Ihr habt doch Bhelliom, Sperber«, erinnerte Stragen ihn. »Springt einfach darüber hinweg.«
Sperber schüttelte den Kopf. »Bhelliom hält das nicht für ratsam. In Wandnähe hat der Boden sich noch nicht ganz beruhigt. Wenn wir in der Gegend herumspringen, könnten wir möglicherweise weitere Erdbeben auslösen.«
»O Gott!« rief Sarabian. »Tut das bloß nicht! Ihr würdet den ganzen Kontinent auseinanderschütteln.«
»Genau das wollen wir vermeiden, Majestät. Engessa, Kring und Khalad arbeiten bereits an einer Lösung des Problems. Wenn wir die Steilwand nicht bezwingen können, müssen wir vielleicht Tynians Flotte nehmen und um das östliche Ende der Mauer fahren.«
»Aber darüber wollen wir erst noch genauer nachdenken«, warf Vanion ein. »Sperber und ich sind uns noch nicht ganz einig, aber ich bin der Meinung, wir sollten möglichst auffällig nach Norden marschieren. Wenn wir in etwa einer Woche mit flatternden Fahnen und zusätzlich zu den Streitkräften, die in diesem Gebiet zu uns gestoßen sind, mit fünftausend Ordensrittern losziehen, können wir uns Zalastas voller Aufmerksamkeit gewiß sein. Stechen wir in See, wird er nicht wissen, daß wir kommen, und das könnte ihm Zeit geben, einige der Einzelheiten zu erfahren, was Stragens Pläne für unsere ganz besondere Feier zum Erntedankfest betrifft. Für welche der beiden Möglichkeiten wir uns entscheiden – sowohl die eine wie die andere – ist nur mit einem gelungenen Überraschungsmoment zu verwirklichen. Wir sollten uns für Zalasta eine möglichst unerwartete Strategie ausdenken.«
Die Abrichtung der tamulischen Pferde begann umgehend. Tynians Ritter jammerten allerdings sehr. Die von den tamulischen Edlen bevorzugten Reitpferde waren zu klein und schwächlich, Männer in Rüstung zu tragen; und die großen Zugpferde der tamulischen Bauern waren zu langsam und sanftmütig, gute Streitrosse abzugeben.
Die Männer waren nun stets in Eile. Caalador hatte den Befehl erteilt, und jetzt war nichts mehr rückgängig zu machen. Die Morde würden auf jeden Fall während des Erntedankfestes geschehen, ganz gleich, wie weit die anderen Pläne gediehen waren. Und mit jeder Minute rückten die hoffnungsvoll erwarteten und zugleich gefürchteten Feiertage näher.
Fünf Tage nach der Rückkehr Sperbers und seiner Freunde aus dem Norden Atans kam ein Kurier mit einer Botschaft von Khalad nach Matherion. Mirtai führte den müden Ataner ins Wohngemach, wo Sperber und Vanion heftig das Für und Wider ihrer Pläne erörterten. Wortlos reichte der Kurier Sperber Khalads Nachricht.
» Mein Ritter«, las Sperber die ungelenk geschriebenen Zeilen laut. » Das Erdbeben hat zu Wasser und zu Lande das Gebiet der gesamten Nordostküste völlig verändert. Verlaßt Euch nicht auf irgendwelche Karten von dieser Gegend. Ihr müßt jedoch über die See kommen, so undurchführbar Euch es erscheinen mag. Es gibt keine Möglichkeit, die Mauer hinunter zu klettern – schon gar nicht, wenn Trolle an ihrem Fuß warten. Engessa, Kring und ich werden mit den Atanern und Tikumes Peloi sechs Meilen südlich der Stelle warten, wo die Mauer im tamulischen Meer verschwindet. Laßt Euch
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