Tamuli 3 - Das Verborgene Land
die Fäuste und ließ seine Muskeln unter der bleichen Haut spielen. Ganz offensichtlich achtete er nicht sonderlich auf Zalastas Worte; statt dessen war er völlig in das rhythmische Spannen und Entspannen seiner Armmuskeln vertieft. Er war in jeder Hinsicht der vollkommene Soldat, und sein durchtrainierter Körper war wie eine perfekt funktionierende Maschine. Er war kein Mann, der seine Gedanken an irgend etwas vergeudete, außer wahrscheinlich an sich selbst.
Ehlana ließ den Blick müde durchs Gemach schweifen, das sehr merkwürdig ausgestattet war. Es gab keine richtigen Sessel, nur Bänke und gepolsterte Hocker, zwar mit Armlehnen, doch ohne Rückenlehne. Offenbar waren Rückenlehnen in Cyrgai überhaupt nicht bekannt. In der Mitte stand ein unbequemer, niedriger Tisch, und die antiquierten Lampen waren kaum mehr als gehämmerte Kupferschalen voll Öl, in dem Dochte schwammen. Die grob gesägten Bodendielen waren mit Binsen bedeckt, die Wände aus Basaltquadern völlig schmucklos, und die Fenster ohne Vorhänge.
Die Tür schwang auf, und Ekatas trat ein. Ehlana bemühte sich, in ihrem erschöpften Gedächtnis zu suchen. Santheocles war König hier in Cyrgon, doch der eigentliche Herrscher war ohne Zweifel Ekatas. Cyrgons Hohepriester trug eine schwarze Robe mit weit fallender Kapuze, die sein von Falten und Runzeln durchzogenes Greisengesicht zur Zeit nicht verbarg. Zwar war Ekatas' Ausdruck ebenso grausam und hochmütig wie der seines Königs, doch seine Augen blickten gerissen und skrupellos. Das Symbol, das in der Verborgenen Stadt allgegenwärtig zu sein schien, zierte die Vorderseite seiner Robe: ein weißes Quadrat, gekrönt von einer stilisierten goldenen Flamme. Zweifellos hatte es irgendeine besondere Bewandtnis damit, doch Ehlana war zu müde, sich auch nur zu fragen, um was es sich handeln mochte. »Kommt mit mir«, befahl Ekatas schroff. »Und bringt die Frauen mit!«
»Die Dienerin ist unwichtig«, entgegnete Zalasta in leicht herausforderndem Tonfall. »Laßt sie schlafen.«
»Ich bin es nicht gewöhnt, daß meine Befehle in Frage gestellt werden, Styriker!« »Dann gewöhnt Euch daran. Die Frauen sind meine Gefangenen. Ich habe mit Cyrgon eine Abmachung getroffen, nicht mit Euch. Ihr seid dabei nicht mehr als ein Anhängsel. Euer Hochmut wird zum Ärgernis für mich. Laßt das Mädchen in Ruhe!« Sie starrten einander durchdringend an, und eine beinahe greifbare Spannung erfüllte das Gemach. »Nun, Ekatas?« sagte Zalasta ruhig. »Ist es soweit? Habt Ihr endlich genug Mut aufgebracht, mich herauszufordern? Jederzeit, Ekatas. Wann immer Ihr wollt.«
Ehlana, die nun hellwach war und das Geschehen aufmerksam verfolgte, sah die Furcht in den Augen des Hohepriesters. »Dann nehmt nur die Königin mit«, brummte er. »Sie ist es, nach der Cyrgon verlangt.«
»Eine kluge Entscheidung, Ekatas«, sagte Zalasta spöttisch. »Wenn Ihr weiterhin das richtige tut, lebt Ihr vielleicht sogar ein Weilchen länger.«
Ehlana nahm ihren Umhang ab und deckte Alean sanft damit zu. Dann drehte sie sich zu den drei Männern um und bemühte sich, ihre königliche Würde zu wahren. »Bringen wir es hinter uns.«
Santheocles erhob sich hölzern, setzte seinen Helm mit dem hohen Kamm auf und achtete dabei sehr darauf, sein sorgsam frisiertes Haar nicht in Unordnung zu bringen. Er brauchte eine Weile, seinen riesigen Rundschild am Arm festzuschnallen; dann zog er sein Schwert.
»Was für ein eingebildeter Esel«, bemerkte Ehlana verächtlich. »Solltet Ihr Seiner Majestät nicht lieber das Schwert wegnehmen, Ekatas? Er könnte sich verletzen, wißt Ihr.«
»Das ist Tradition«, erwiderte Ekatas steif. »Gefangene werden immer unter strenger Bewachung gehalten.«
»Ah«, murmelte sie, »und wir müssen natürlich den Traditionen gehorchen, nicht wahr? Wo die Tradition herrscht, ist das Denken überflüssig.«
Zalasta lächelte leicht. »Hattet Ihr nicht vor, uns zum Tempel zu führen, Ekatas? Wir wollen Cyrgon doch nicht warten lassen.«
Ekatas schluckte eine Erwiderung herunter und ging ihnen voraus auf den kalten Korridor.
Die Wendeltreppe, die vom obersten Geschoß des höchsten Turmes im königlichen Schloß in die Tiefe führte, war schmal und steil und schien sich in einer endlosen Spirale dahinzuwinden. Als sie endlich unten ankamen, zitterte Ehlana vor Erschöpfung.
Die Wintersonne schien hell auf den riesigen Schloßhof, doch sie wärmte kaum.
Sie überquerten den mit Steinplatten gepflasterten Hof
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