Tamuli 3 - Das Verborgene Land
der Regierung.«
Er staunte über ihre Einsicht und plötzliche Veränderung. Es fiel leicht, Elysoun zu unterschätzen. Die Zielstrebigkeit, mit der sie ihr Vergnügen verfolgte und die geradezu auffordernde Offenherzigkeit ihrer in Valesien für junge Frauen üblichen Kleidung ließen auf einen Menschen schließen, der nur auf sinnliche Genüsse bedacht war. Doch das hier war eine völlig andere Elysoun. Sarabian betrachtete sie mit neuem Interesse. »Was hast du in letzter Zeit getan, meine Liebe?« erkundigte er sich voller Zuneigung. »Das übliche.« Sie zuckte die Schultern. Er wandte die Augen ab. »Bitte, tu das nicht!« »Was?« »Den Busen so hüpfen lassen.«
»Genau das soll er aber! Oder glaubst du vielleicht, ich kleide mich so, weil ich zu bequem bin, andere Gewänder anzuziehen? Nein, es soll die Männer erregen!« »Bist du deshalb zu mir gekommen? Oder gibt es einen weniger erfreulichen Grund?« So hatten sie noch nie miteinander gesprochen, doch Elysouns unerwartete Offenheit faszinierte ihn.
»Reden wir zuerst über das weniger Erfreuliche.« Sie musterte ihn kritisch. »Du brauchst mehr Schlaf!«
»Ich weiß, aber ich komme einfach nicht zur Ruhe.«
»Dann werde ich wohl sehen müssen, was man dagegen tun kann.« Sie hielt kurz inne. »Im Frauenflügel geht irgend etwas vor, Sarabian.« »Ach?«
»Es haben sich viele Fremde unter die Herden von Schoßtierchen und die Speichellecker gemischt, die sich auf den Korridoren herumtreiben.«
Sarabian lachte. »Was für unschöne Ausdrücke du benutzt, um Höflinge zu beschreiben.«
»Wie soll man sie denn sonst nennen? Es gibt nicht einen richtigen Mann unter diesen Kerlen. Sie sind im Kaiserinnenflügel und helfen uns, Komplotte zu schmieden. Ich nehme an, du weißt, daß wir unsere Zeit damit verbringen, gegeneinander zu intrigieren, nicht wahr?«
Er zuckte die Schultern. »Das hilft euch, eure Mußestunden zu vertreiben.« »Wir haben nur Mußestunden, mein Gemahl. Unsere gesamte Zeit ist freie Zeit, das ist ja unser Problem. Wie dem auch sei – diese Fremden gehören keinem der uns bekannten Höfe an.« »Bist du sicher?«
Sie lächelte ein wenig lasziv. »Darauf kannst du dich verlassen! Ich kenne alle männlichen Mitglieder unserer Hofgesellschaft. Sie sind kaum mehr als dressierte weiße Mäuse. Diese Fremden dagegen sind Ratten!«
Er bedachte sie mit einem erheiterten Blick. »Hast du dich wirklich mit allen Höflingen im Kaiserinnenflügel befaßt?«
»Mehr oder weniger.« Wieder zuckte sie die Schultern – mit voller Absicht, wie Sarabian glaubte. »Im Grunde genommen war es ziemlich langweilig. Höflinge sind bloß Maulhelden. Aber es hat mir immerhin geholfen, auf dem laufenden zu bleiben.«
»Und diese Fremden … sind sie Tamuler?«
»Manche. Manche nicht.«
»Wie lange geht das schon so?«
»Seit wir alle zurück in den Kaiserinnenflügel gezogen sind. Als wir hier noch mit den Eleniern wohnten, sah ich keine von diesen Ratten.«
»Also erst seit ein paar Wochen?«
Sie nickte. »Ich dachte, du solltest es wissen. Vielleicht hat es nichts zu bedeuten. Aber ich habe irgendwie ein anderes … Gefühl dabei. Unsere Palastpolitik ist indirekter als die eure, aber was derzeit im Kaiserinnenpalast vor sich geht, ist reine Männerpolitik.«
»Meinst du, du könntest für mich ein Auge darauf halten? Ich wäre dir sehr dankbar.« »Selbstverständlich, mein Gemahl. Ich bin schließlich dein ergebenes Eheweib.« »Ach, wirklich?«
»Begehe diesen Fehler nicht, Sarabian! Ergebenheit darf nicht mit … dieser anderen Sache verwechselt werden! Sie bedeutet gar nichts. Ergebenheit hingegen sehr viel.«
»In dir steckt weitaus mehr, als man ahnt, Elysoun.«
»Ach? Ich habe nie versucht, irgend etwas zu verbergen.« Sie atmete tief ein. Wieder lachte er. »Hast du heute abend schon etwas vor?«
»Ja, aber das alles ließe sich auf ein andermal verschieben. Hast du etwas vor?«
»Ich dachte, wir könnten ein bißchen miteinander reden.«
»Reden?«
»Unter anderem.«
»Laß mich erst eine Nachricht abschicken. Dann können wir so lange reden, wie du möchtest – und auch das andere tun.«
Sie waren auf der um das Westufer des Sees führenden Straße nach Arjuna, zwei Tagesritte von Tiana entfernt. Ihr Lager hatten sie am Ufer aufgeschlagen gehabt, ein Stück abseits der Straße, und Khalad hatte mit seiner Armbrust ein Reh erlegt. »Wegzehrung«, erklärte er Berit, der das Tier häutete. »Das spart Zeit und Geld.« »Du kannst
Weitere Kostenlose Bücher