Tango Vitale
spielt.
Normalerweise ist der Nachwuchs von Agouti-Mäusen ebenso gelb, dick und krankheitsanfällig wie seine Eltern. Die Mehrzahl der Nager-Babys in Jirtles Experiment schlug jedoch völlig aus der Art: Obwohl sie das gleiche Agouti-Gen besaßen wie ihre Mütter, waren sie überwiegend |79| schlank und braun. Außerdem fehlte ihnen die Veranlagung für Krebs und Diabetes. Offenbar war allein durch die veränderte Ernährung das Agouti-Gen ausgeschaltet worden. Die Mäusemütter dagegen, die keine methylgruppenreiche Nahrung erhalten hatten, gebaren weiterhin gelbliche Vielfraße. Das verblüffende Ergebnis: Die Mäuse sind genetisch identisch, sehen aber unterschiedlich aus: Die einen fett und mit hellem Fell, die anderen dünn und dunkelhaarig.
Menschen sind bekanntlich keine Mäuse, doch auch beim Homo sapiens hat man bei einer Vielzahl von Krankheiten, darunter Krebsarten, Herzleiden und Diabetes, epigenetische Mechanismen festgestellt. Solche Entdeckungen erschüttern das bisherige Wissen über Genetik und damit auch unsere gängigen Vorstellungen von Identität. Sie stellen infrage, was bisher angenommen wurde, dass nämlich allein die DNA unser Aussehen, unsere Persönlichkeit und unsere Krankheitsrisiken bestimmt. Diese eindimensionale Vorstellung lässt sich nicht länger halten. Selbst wenn Menschen exakt über die gleichen Gene verfügen wie eineinige Zwillinge, unterscheiden sie sich dennoch häufig in den Mustern ihrer Genaktivität und damit auch in ihren Eigenschaften. Der Molekularbiologe Bruce H. Lipton, ein Pionier der Epigenetik, zieht daraus die Konsequenz: »Gene bestimmen nicht unser Schicksal! Umwelteinflüsse, darunter auch Ernährung, Stress und Gefühle, können unsere Gene verändern, ohne die grundlegende Zusammensetzung infrage zu stellen.« 15
Womit wir wieder bei unserem Ausgangspunkt, der Gewichtung von »Nature« und »Nurture«, wären. Nach dem heutigen Stand der Erkenntnis dürfen wir davon ausgehen: Wir bringen individuelle genetische Eigenschaften mit. Ob die jedoch aktiv werden, hängt in vielen Fällen von den Einflüssen der Umgebung, damit auch von uns selbst, ab. Für unser Schicksal bedeutet das, dass wir uns nicht einfach hinter den ererbten Gegebenheiten verstecken können, nach dem Motto: »So bin ich halt.« Wir haben die Möglichkeit und damit auch die Verantwortung, das Beste daraus zu machen.
|80| Ihre Talente
Das Beste aus seinen Genen machen – wie geht das? Für Ihr Schicksal sind vor allem Ihre angeborenen Stärken, auch Begabung oder Talent genannt, sehr wichtig. Diese gilt es zu fördern, denn von ihnen hängt zu einem großen Teil ab, wie glücklich und erfolgreich Sie im Leben sind:
Wenn Sie Ihrer ursprünglichen Neigung nachgehen, geht es Ihnen weitaus besser, als wenn Sie sich mühsam durch den Tag quälen oder nur mit Pflichtgefühl und Routine arbeiten. Weil es Ihrem Naturell entspricht, macht es Ihnen Freude. Das ist schon mal ein Plus für Ihr Glück.
Darüber hinaus macht es Sie erfolgreicher, wenn Sie Ihr Talent ausleben, weil Sie dann mit natürlichem Interesse dabei sind und weniger von inneren Widerständen gebremst werden als auf Gebieten, die Ihnen nicht liegen. Es macht Ihnen tatsächlich Spaß, komplizierte Fachbücher zu lesen oder meilenweit zu fliegen, um an einem Workshop teilzunehmen. Ihr intensiver Einsatz wirkt sich auf die Dauer positiv aus. Sie bekommen einen Wissens- und Erfahrungsvorsprung vor anderen, erwerben jede Menge Kompetenz.
Gewöhnlich verbinden wir Begabung und Talent mit herausragenden Fähigkeiten. Singen wie Anna Netrebko, golfen wie Tiger Woods, die Computerindustrie revolutionieren wie Steve Jobs – so etwa in der Größenordnung. Aber welches überragende Talent hat schon eine ganz normale Steuerberaterin oder ein Bauingenieur?
Der amerikanische Psychoanalytiker James Hillman weist solche |81| Vergleiche eindeutig zurück: »Außergewöhnliche Menschen gehören nicht einer anderen Kategorie an, die Arbeitsweise dieses Motors ist bei ihnen einfach nur leichter erkennbar.« 16 Die aktuelle Intelligenz- und Talentforschung gibt ihm recht und geht sogar noch einen Schritt weiter: Herausragende Leistungen beruhen nicht auf herausragenden angeborenen Fähigkeiten, sondern entstehen erst durch Förderung und Üben. Sie kommen also nicht umhin, sich zunächst einmal die Frage zu stellen: Was ist offenbar als Anlage in mir vorhanden? Und was kann ich tun, um sie zu entfalten?
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