Tante Dimity und der Fremde im Schnee
nur?«
»Nachdem die Polizei fort war, habe ich ihn natürlich darauf angesprochen«, sagte Julian.
»Er meinte nur, das sei das Erstbeste gewesen, was ihm eingefallen sei. Ich fand die Antwort recht bestürzend.«
»Ich dachte bisher, dass Sie es unterstützen, wenn jemand die Wange hinhält«, sagte ich.
»Es gibt einen riesigen Unterschied zwischen die Wange hinhalten und sein Leben aufs Spiel setzen.« Julian schürzte die Lippen. »Ich bin ihm natürlich sehr dankbar, dass er mir das Leben gerettet hat, aber ich wünschte, er hätte dabei nicht sein eigenes riskiert.« Schweigend steuerte Julian uns durch einen Kreisverkehr, und als er weitersprach, hatte seine Stimme ihren beiläufigen Klang verloren. »Sein fast völliger Verzicht auf Nahrung fiel mir leider nicht auf, obwohl ich in gewisser Weise dafür verantwortlich bin.«
»Wieso das?«
»Smitty kam eines Abends in mein Büro, wo ich gerade grübelnd über unserer Buchhaltung hockte. Er fragte mich, ob irgendetwas nicht in Ordnung sei, und ich fürchte, dass ich ihm zu viel von der Wahrheit verriet. Es scheint mir möglich, dass er sich so manche Mahlzeit verkniffen hat, damit Sankt Benedikt das Geld sparte.«
»Steckt das Heim denn in finanziellen Schwierigkeiten?«, fragte ich.
»Nicht mehr als sonst auch.« Julian richtete sich auf und rang sich ein Lächeln ab. »Habe ich schon erwähnt, wie dankbar ich Ihnen dafür bin, dass Sie mich zur Blackthorne Farm begleiten?«
Dass er mir auswich, war klar, aber mittlerweile war es so warm im Wagen, dass ich es ihm durchgehen ließ. Ich beugte mich in meinem Sitz nach vorne. »Julian, ich glaube, ich schmelze.
Können wir die Heizung etwas herunterdrehen?«
»Ach ja, was die Heizung betrifft …« Etwas umständlich entschuldigte sich Julian dafür, dass es der Heizung von Sankt Christophorus an Feingefühl mangelte. Es hieß entweder brutzeln oder erfrieren.
Der Gedanke zu erfrieren behagte mir nicht, also zog ich den Mantel aus, warf ihn auf den Rücksitz, neben eine verschlissene sandfarbene Reisetasche.
»Was ist in der Tasche?«, fragte ich. »Notrationen?«
»Ihr mangelndes Vertrauen in die Sicherheit meines Fahrzeugs betrübt mich, Mrs Shepherd«, sagte Julian. »Sankt Christophorus ist der Schutzpatron der Reisenden. Er wird uns nicht im Stich lassen.«
»Hat man ihn auch strafversetzt?«, sagte ich.
Julian warf mir einen vernichtenden Blick zu.
»Es tut mir leid«, fügte ich rasch hinzu. »Keine Witze mehr über Sankt Christophorus, ich schwöre. Und bitte, sagen Sie Lori zu mir.«
»Danke, Lori.« Julian richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße. »Die Tasche gehört Smitty. Ich habe sie praktisch als unser Leumundszeugnis für Anne Preston mitgenommen.«
Ich betrachtete die Tasche mit ganz neuem Interesse. Sie sah aus, als habe sie schon einen langen Weg hinter sich. »Sollten Sie die Tasche nicht lieber der Polizei übergeben?«
»Die Polizei hat viel zu viel zu tun, um sich um Männer wie Smitty zu kümmern«, sagte Julian bestimmt. »Wenn ich die Tasche abgebe, landet sie in einer Asservatenkammer und erblickt nie wieder das Tageslicht.«
»Haben Sie reingeschaut?«, fragte ich.
»Ja«, sagte Julian. »Ich glaubte natürlich, wichtige Informationen über Smitty zu finden, woher er kommt, wie er wirklich heißt, all das, aber ich fand nichts dergleichen.« Er sah mich an. »Würden Sie einen Blick hineinwerfen? Vielleicht fällt Ihnen etwas auf, das ich übersehen habe.«
Ich zögerte, weil ich es komisch fand, Smittys Sachen ohne seine Erlaubnis zu durchsuchen.
Julian schien meinen Gedanken erraten zu haben. »Solange Smitty nicht für sich selbst sprechen kann«, sagte er leise, »müssen seine Habseligkeiten für ihn sprechen.«
Ich ergriff die Tasche, und als ich sie nach vorne auf meinen Schoß hob, erlebte ich die gleiche Überraschung wie vorgestern, als ich Smitty mit Bill ins Cottage getragen hatte. Die Tasche war viel zu leicht, selbst für das Notwendigste, was ein Mensch an Besitz brauchte.
In der Tasche fanden sich ein paar alltägliche Dinge wie Socken, Unterwäsche, ein Blechnapf, ein Suppenlöffel, ein Taschenmesser und, in einer Plastiktüte, ein weißes Handtuch. Ein Seitenfach enthielt ein zerfleddertes Gebetbuch und ein rundes Ährengeflecht. Kein Adressbuch, kein hingekritzelter Name auf einem Stück Papier, nicht einmal Initialen auf dem Deckblatt des Gebetbuchs. Der Inhalt der Tasche schien so anonym wie ihr Besitzer.
Ich nahm das
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