Tante Dimity und der unerhoerte Skandal
Personen gedeckt war. Über der Spüle war ein großes Fenster, durch das man auf ein Feld blickte, auf dem zwei Pferde grasten.
Auf den Regalen über dem großen, holzbeheizten Herd stapelten sich Töpfe und Pfannen. An den Wänden waren alte Küchenbüfetts und Unterschränke aneinander geschoben und ersetzten die üblichen Arbeitsplatten, und ein riesiger verglaster Bücherschrank aus irischer Kiefer beherbergte ganze Stapel von Tellern, Reihen von Teekannen und verschiedene alte Stücke aus geblümtem Porzellan.
Swanns Auffassung darüber, was zum Tee gehörte, war eindeutig die des typischen Landbewohners. Auf dem Herd köchelte ein Topf Gemü sesuppe, dessen Aroma allein einem die Knie weich werden ließ. Daneben lagen auf einem Drahtrost ein frischgebackenes Brot und eine Apfeltorte zum Abkühlen. In der Mitte des Tisches stand eine Tonvase mit Feldblumen, umgeben von einem Krug eisgekühlter Limonade, einer Tonschale mit Butter und einem silbernen Untersetzer, auf dem in Kürze das Soufflé landen würde.
Lucy hatte ihre Geschäftskleidung abgelegt, und damit den Hauch von Lebensüberdruss, der in London von ihr ausgegangen war. Sie trug eine legere Hose, ein rotes Sweatshirt mit abgeschnittenen Ärmeln und an den Füßen dicke Wollsocken ohne Schuhe. Sie hatte sich das dunkle Haar mit zwei Schildpattkämmen zurückgesteckt, und ihre lebendigen braunen Augen strahlten.
»Hallo«, sagte sie herzlich und ging zu meiner großen Freude ohne weitere Umstände zum Du über. »Ich hatte mir schon gedacht, dass ihr Vetter William hierher folgen würdet. Er war da und ist wieder weg, fürchte ich, aber ich hoffe, ihr werdet nicht ebenfalls gleich wieder weiterfahren. Ich hoffe doch, dass Swann euch zum Tee eingeladen hat.«
»Das hat er, und wir haben angenommen«, versicherte ich ihr, wobei ich mich bemühte, sie nicht merken zu lassen, wie mir das Wasser im Mund zusammenlief. Ich gab Paul und Nell einen Wink und in Rekordzeit waren drei weitere Gedecke aufgelegt, wobei wir uns durch heimliche Blicke dar über verständigten, was für ein Glück wir doch hatten, dass uns das Essen im Pub erspart geblieben war.
Swann musste nach seiner Rückkehr diese heimlichen Blicke – einige von Nell, aber auch von mir – bemerkt und auf seine Weise gedeutet haben, denn sobald wir uns gesetzt hatten, wandte er sich an Lucy und sagte: »Ich glaube, unsere Gäste haben bemerkt, dass ich etwas jünger bin als meine Frau.«
Lucy seufzte. »Ich glaube, du wirst ihnen wohl die Sache mit den Affendrüsen erklären müssen.«
»Das wäre geschwindelt«, sagte Swann tadelnd.
»Nein, sie sollen die Wahrheit hören, und nichts als die Wahrheit. Seht ihr«, fuhr er fort, indem er von mir zu Nell sah, »ich war Stallbursche hier, als ich Anthea kennen lernte. Und als sie mich zum ersten Mal ihre Pferdebox ausmisten ließ, war es um mich geschehen. Es ist schon etwas Besonderes um eine ältere Frau, die weiß, wie man eine Reitpeitsche gebraucht …« Er sah verträumt vor sich hin, während wir stumm dasaßen, die Suppenlöffel wie erstarrt zwischen Teller und Mund.
Lucy brach das Schweigen mit einem glucksenden Lachen.
»Du erzählst Quatsch«, sagte Nell vorwurfsvoll.
»Wer kann es ihm verdenken«, sagte Lucy. »Die Leute haben so bizarre Theorien über die zweite Ehe meiner Mutter, dass die Wahrheit sogar mir ziemlich langweilig vorkommt. Tatsache ist, dass Swann meine Mutter während einer sehr schweren Zeit ihres Lebens davor bewahrte, durchzudrehen.«
»Aber, aber.« Swann versah sein Brot mit einer großzügigen Portion Butter. »Anthea ist der besonnenste Mensch, der mir je begegnet ist. Zugegeben, sie ist ein bisschen verrückt, wenn es um Pferde geht, aber damit kann ich leben.« Er legte die Hand an den Mund und fügte im Bühnenflüsterton hinzu: »Musste ich auch. Bevor ich Anthea heiratete, hatte ich noch nie ’ne Pferdebox gesehen, aber seitdem habe ich mehr ausgemistet, als mir lieb ist.«
Lucy stand auf, um die Suppenteller abzuräumen und das Soufflé zu servieren, dann setzte sie sich wieder. »Der Direktor von Cloverly House rief mich an und erzählte, dass ihr Onkel Williston besucht habt«, sagte sie. »Das war sehr nett von dir, Lori. Ich hoffe, mein Onkel war kein zu großer Schock für dich.«
»Es wäre ein weitaus größerer Schock gewesen, wenn du mir nicht vorher von Julia Louise und ihren beiden Söhnen erzählt hättest«, entgegnete ich.
»Ich fand ihn goldig«, sagte Nell. »Er denkt
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