Tante Dimity und die unheilvolle Insel
Licht aus und lä chelte meinen rosa Hasen schläfrig an. »Reginald«, sagte ich leise, »du glaubst nicht, wie sehr ich mich auf mein Rendezvous mit Harry Peters freue.«
11
AM NÄCHSTEN MORGEN stemmte ich mich um fünf Uhr aus dem Bett, duschte und zog mich dem wechselhaften Wetter entsprechend an.
Über ein T-Shirt streifte ich noch einen Fleece-Pullover und wählte dazu eine Zip-off-Hose, falls es durch einen glücklichen Umstand doch noch wärmer wurde. Auch wenn ein guter Geist in der Waschküche meinen missbrauchten Freizeitschuhen zu neuer Frische verholfen hatte, entschied ich mich für Wanderschuhe. Damian trug ebenfalls wetterfeste Kleidung: einen strapazierfähigen schwarzen Wollpullover, eine frischgewaschene Khakihose und Wanderschuhe.
Punkt halb sechs klopfte ein stämmiges rothaariges Zimmermädchen namens Pamela an meine Salontür und brachte uns beiden Frühstück sowie zwei Proviantpakete, die so groß waren, dass Damian und ich einen Teil herausnehmen mussten, damit auch noch unsere Regenjacken in den Rucksack passten. Mit nur einer Dose Kaviar konnte ich auch gut leben, zumal mich der Ausflug nach Cieran’s Chapel gelehrt hatte, Dundrillin Castle nie ohne Regensachen zu verlassen.
Beim Frühstück redeten wir nicht viel. Ich war noch ziemlich benommen – am Morgen war ich von Natur aus nicht allzu fröhlich –, und Damian war immer noch in seine Grübeleien versunken. Darum bestand unsere Konversation zum größten Teil aus »Noch etwas Tee?« und »Kann ich bitte die Marmelade haben?«.
Wir verließen die Burg durch dieselbe Seitentür, die wir auch schon am Vortag benutzt hatten, schlugen den Weg südwärts zum Küstenpfad ein und mussten fast sofort anhalten, um unsere Regenjacken anzuziehen. Der klare Himmel gab keinen Hinweis auf Regen, aber die Morgenluft war kalt, und der von den Klippen heranfegende Wind durchdrang den Fleece-Pulli, als wäre er aus Papier.
Die frische Luft vertrieb die letzten Spuren des Schlafs aus meinem Gehirn, und allmählich nahm ich die Landschaft wahr. Der Blick von der Landzunge war überwältigend und hätte mich zugleich in helle Panik versetzt, wenn der Pfad nicht so tief eingegraben gewesen wäre.
Jahrhundertelang war der felsige Grund von zahllosen Füßen ausgetreten worden, sodass der Weg jetzt tief versunken dalag und unter dem beinahe hüfthohen Gras an seinen Rändern kaum noch zu erkennen war. Um von diesem Pfad abzukommen, würde es schon einer bewussten Anstrengung bedürfen, und die brachten an den Stellen, wo er nahe genug an den Klippen vorbeiführte, wohl nur Selbstmörder auf.
Von Percys Landvorsprung aus erstreckte sich unter uns smaragdgrün in der Morgensonne schimmernd ganz Erinskil. Aber in dem Maße, in dem uns der Pfad nach unten führte, wurde der aufregende Blick blockiert. Zu unserer Linken erhob sich steil das Land und bildete eine Kette von mit Felsbrocken übersäten Hügeln. Rechts von uns reichte der aufgewühlte Ozean bis zum Horizont. Hinter uns ragte Dundrillin Castle in die Höhe und verlieh dem Landvorsprung einen Hauch von Dramatik, während sich vor uns der Weg wie ein zwischen Land und Meer schwebender grüner Tunnel ohne Decke dahinwand.
Es war ein Glück, dass der versunkene Pfad keine Abwege zuließ, denn ich konnte den Blick kaum von den Vögeln wenden. Es gab hier Tausende Meeresvögel, die auf winzigen Vorsprüngen kauerten, in die Luft stiegen oder landeten, im Sturzflug nach unten stießen, am Himmel Kreise zogen und kaleidoskopartige Muster bildeten, die jeden Fluglotsen in die Verzweiflung treiben würden. Zu spät merkte ich, dass ich den Fotoapparat – wieder einmal – vergessen hatte, tröstete mich aber mit dem Gedanken, dass wir Peter dann erst viel später getroffen hätten. Ich hätte viel zu viel Zeit damit verbracht, die bunten Geschöpfe auf Film zu bannen.
Nach dreißig Minuten zügigen Marschierens mündete der Küstenweg in eine breite, flache Felsbank direkt über dem Meer. Im Rücken der Felsbank erhob sich eine Geröllhalde, und auf einem runden Steinblock an ihrem Fuß saßen Peter Harris und seine hübsche dunkelhaarige Gefährtin.
»Lori!« Schon sprang Peter von seiner Warte und schloss mich mitsamt meinem übergroßen Proviantpaket in die Arme. »Ich bin ja so froh, dich zu sehen! Ich kann noch gar nicht glauben, dass du hier bist. Das ist ja fast wie Hexerei, was? Verzeih mir, dass ich dir den Tee in den Schoß geschüttet habe, aber irgendwas musste ich schließlich tun.
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